Harbin.

Vorsichtige Zurückhaltung ist die Sache eines Sergio Canavero nicht. Wie die weltweit erste Kopftransplantation ablaufen soll, hat der italienische Neurochirurg genau vor Augen: In einem mindestens 200 Quadratmeter großen Operationssaal arbeiten Spezialisten an Spender und Empfänger, die fixiert in Metallgestellen sitzen. „100 Experten aus aller Welt werden diesen monumentalen Eingriff wagen“, schreibt Canavero in seinem Buch „Medicus Magnus“.

Im Juli 2013 hatte der Italiener das Projekt erstmals öffentlich angekündigt. Er nannte es „Heaven-Gemini“. Ursprünglich für Dezember geplant, soll nun im kommenden Frühjahr in China der Kopf eines schwer kranken Menschen auf den Körper eines hirntoten Spenders gesetzt werden. So jedenfalls erklärt es der Verlag – mit Verweis auf Canavero.

Das wirkt vor allem deshalb irrwitzig, weil jedwede wissenschaftliche Vorstufe fehlt: Weder wurden bisher massenhaft Tierköpfe erfolgreich verpflanzt noch wurde reihenweise von Menschen berichtet, die nach Rückenmarksverletzungen geheilt wurden. Tausende Arbeitsgruppen arbeiten seit Jahrzehnten vergeblich daran, bei Gelähmten die Verletzung des Rückenmarks zu überbrücken.

China will solche klinischen Versuche „niemals erlauben“

Darüber hinaus stellen sich jetzt auch die chinesischen Behörden quer. Die Operation „ist technisch unmöglich und verstößt gegen chinesische Gesetze und Vorschriften für Organtransplantationen“, sagte der Vorsitzende des chinesischen Komitees für Organverpflanzungen, Huang Jiefu, in einem Interview der „China Daily“. „Wir werden niemals erlauben, dass solche klinischen Versuche in China ausgeführt werden.“ Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO erklärte, es sei unwahrscheinlich, dass sich je ein Ethikkomitee für diese Operation ausspräche.

Das Urteil aus Fachkreisen über Canaveros Plan ist seit den ersten Ankündigungen ziemlich eindeutig: „Reine Publicity“, sagt Edgar Biemer von der Praxisklinik Caspari in München, der in Deutschland an einer spektakulären Armtransplantation beteiligt war. Das Frühjahr werde dahinschwinden, ohne dass etwas passiert sei. „Die Verbindung zum Rückenmark bei einer solchen Transplantation wiederherzustellen, halte ich für absolut unmöglich“, sagt Biemer. Das glaubt auch Veit Braun, Chefarzt der Neurochirurgie am Diakonie Klinikum Siegen.

Canavero, 1964 in Turin geboren, arbeitet bereits seit den 80er-Jahren daran, einen Kopf zu verpflanzen. „Das größte technische Hindernis unserer Bemühungen ist natürlich die Zusammenführung des Rückenmarks von Spender und Empfänger“, so Canavero in einem Artikel der „Surgical Neurology International“. Er sei aber davon überzeugt, „dass wir heute über die nötige Technologie für eine solche Verknüpfung verfügen“. Dass die Chinesen nicht nur die Mehrzahl der Spezialisten stellen, sondern dem Eingriff auch zustimmen würden, davon ging er noch vor Kurzem aus. „China will mit der ersten Kopftransplantation seine Stellung als neue Supermacht auch in der Medizin untermauern“, sagte er. Seine Sätze strotzen im Gespräch vor Superlativen. Sein Projekt hält er für mindestens so wichtig wie die Mondlandung.

„Es geht hier um Ehrgeiz und nicht um die Sache an sich“, kommentierte Uwe Meier vom Berufsverband Deutscher Neurologen vor einiger Zeit Canaveros Ankündigungen. Dass dem Italiener vor allem am Ruhm gelegen sein dürfte, lässt er auch in seinem Buch durchblicken. Immer nur der Erste, der etwas Neues wage, lande in den Geschichtsbüchern, schreibt er. „Um die Menschheit zu verändern, muss man mutig sein – manche sagen auch ein Draufgänger.“

Und der Patient? Hat der nicht ein hohes Risiko, beim Umsetzen seines Kopfes zu sterben? „Ja, hat er“, schreibt Canavero. „Jede andere Aussage wäre nicht ehrlich.“ Ein Grund zum Abwarten ist das für ihn nicht. „Dürfen ethische Bedenken einen Wissenschaftler hindern, zum Wohle der Menschheit moralische Grenzen, wie sie eine Gesellschaft versteht, zu überschreiten? Meine Antwort ist eindeutig: Nein.“

Zweiter Hauptakteur in dem Schauspiel ist der Chinese Ren Xiaoping von der Medizinischen Universität in Harbin in Nordostchina. Der war dabei, als weltweit die erste Hand transplantiert wurde. Eigenen Aussagen zufolge hat er schon Köpfe bei Tieren verpflanzt. Dieser Tage präsentierte er auch das Video eines Hundes, bei dem er das Rückenmark durchtrennt und mit der Substanz Polyethylenglycol (PEG) wieder verbunden haben will. Das Tier habe wieder laufen können. Ob das stimmt, lässt sich kaum überprüfen.

Ren Xiaoping allerdings agiert weitaus vorsichtiger als Sergio Canavero. Immer wieder weist er dessen Ankündigungen zurück, auch diesmal. „Es ist noch ein langer Weg bis zu einer Kopftransplantation“, zitierte ihn kürzlich die Pekinger Zeitung „Xinjingbao“. Es gebe weder Zeitplan noch Ort. Gleichwohl hätten sich viele Freiwillige bei ihm gemeldet. „Eines Tages, wenn die wissenschaftlichen und technischen Fragen gelöst sind, werden wir einen dieser Patienten aussuchen.“

Chirurgen experimentiertenan männlichen Leichen

Zur Vorbereitung der OP gab es zumindest schon einen Versuch mit Leichen. Vor wenigen Tagen wurden die Ergebnisse im Fachblatt „Surgical Neurology International“ veröffentlicht: In 18 Stunden sei der Kopf einer frischen männlichen Leiche auf den Körper einer anderen gesetzt worden. Zwei Teams aus je fünf Chirurgen hätten dabei simultan Schritt für Schritt alle verbindenden Elemente gekappt und am zweiten Körper wieder angeschlossen. Mit dem Experiment, erklärte Ren Xiaoping vor Journalisten, sei aber lediglich ein erstes Operationsmodell geschaffen worden – mehr nicht.

Wegen dieses Experiments drohen dem chinesischen Professor nun übrigens Konsequenzen. Huang Jiefu vom chinesischen Komitee für Organverpflanzungen sagte am Sonnabend, die Arbeit der Mediziner habe gegen ethische Regeln verstoßen. Nun würden Schritte eingeleitet, um Ren Xiaoping zur Verantwortung zu ziehen.