Kathryn Bigelows Dokudrama „Detroit“ stellt die Rassenunruhen von 1967 auf teils entfremdende Weise nach

50 Jahre sind seit den Ereignissen vergangen, die Kathryn Bigelow in ihrem jüngsten Film als Dokudrama nachstellt. Das Erschreckende dabei ist, dass man diesen zeitlichen Abstand kaum merkt. Dass unschuldige Afroamerikaner von der Polizei erschossen werden, gehört in trauriger Permanenz zum US-Nachrichtenstandard. Die rassistischen Vorurteile und die Kulturkampf-Atmosphäre, die dafür die Auslöser bilden, erleben gegenwärtig sogar wieder ein beunruhigendes Aufleben. Weil das Thema Polizeigewalt und Rassismus so brennend aktuell anmutet, hat die Einleitung, mit der Bigelow die Zuschauer eigentlich in den Film hineinziehen möchte, die paradoxe Wirkung einer Entfremdung.

Über einer Schnittfolge der Gemälde aus Jacob Lawrences „Migration Series“, die die Arbeitsmigration aus den Südstaaten in die Industriestädte des Mittleren Westens zeigt, werden die Frustrationen und enttäuschten Hoffnungen skizziert, die Ende der 60er-Jahre zu gewalttätigen Unruhen in zahlreichen Städten führten.

Im Anschluss wird der Zuschauer mit einer Mischung aus Archivaufnahmen und nachgestellten Straßenszenen in die Ereignisse des Juli 1967 in Detroit hin­eingeworfen: Proteste, Brandstiftung, Übergriffe, eine weiße Polizei, die die innerstädtische schwarze Bevölkerung bedrängt, anstatt zu beschützen, Bürgerkriegsatmosphäre.

Die agile Kameraführung macht das Wegschauen unmöglich

Eine der ersten Figuren, die man näher kennenlernt, ist der weiße Polizist Philip Krauss (Will Poulter). Als er einen schwarzen Mann mit Tüten auf dem Arm aus einem Laden kommen sieht, hält er ihn für einen Plünderer und schießt ihm in den Rücken. Später erklärt ihm sein Vorgesetzter, dass das kein legitimes Polizeiverhalten sei, aber Krauss zuckt mit den Schultern. Er gehört zu jener Sorte glühender Rassisten, die sich für große Menschenfreunde und Anhänger von Recht und Ordnung halten.

Nach und nach werden die anderen Figuren eingeführt, die bald eine Schicksalsgemeinschaft in einem abgewrackten Hotel namens Algiers bilden werden: vier Sänger einer aufstrebenden schwarzen Band namens The Dramatics, ein eben erst aus Vietnam zurückgekehrter schwarzer GI (Anthony Mackie), zwei junge weiße Frauen in Partystimmung und ein schwarzer Security-Mann (John Boyega), der sich mit Unbehagen auf die Seite der Polizei stellt.

Sie alle glauben sich im Algiers abseits der tobenden Unruhen. Aber dann feuert einer von ihnen eine Schreckschusspistole ab, und die Polizei stürmt das Hotel im Glauben, es verberge sich dort ein Scharfschütze. Spätestens als Krauss auftaucht, wissen aufmerksame Zuschauer, dass es schlimm enden wird. Als hätte er nur auf die Chance zu misshandeln gewartet, beginnt Krauss die Hotelbewohner mit Pseudo-Exekutionen und echter, rohester Gewalt zu traktieren.

Die agile Kamera versetzt die Zuchauer immer wieder in die Mitte des Geschehens und macht das Wegschauen unmöglich. Für gut eine Stunde ist „Detroit“ ein schwer erträglicher Film. Der letzte Akt, in dem geschildert wird, dass die Polizisten trotz mehrfachen Mordvorwurfs straffrei ausgingen, macht das Ganze nicht angenehmer. Aber die Frustration, die man am Ende des Films empfindet, rührt nicht nur von den Ungerechtigkeiten her, sondern auch von Kathryn Bigelows Herangehensweise.

Sicher, sie macht das Trauma jener Nacht emotional nachvollziehbar, aber ihr Film trägt wenig zur Begreifbarkeit bei. Er stellt die Affekte aus, den in Sadismus übergehenden Rassismus von einem wie Krauss, die Verzweiflung und Panik der jungen Schwarzen, aber er macht sich keine weiteren Gedanken dazu. Die Dokudrama-Form erweist sich als Problem, gerade weil sie objektiv bleiben und sich an keine Perspektive binden will. Am meisten packt der Film jedoch in den raren Momenten, in denen er sich völlig auf eine einzelne seiner Figuren einlässt, sei es Krauss oder der Sänger Larry (Algee Smith), weil dann statt purer Einfühlung eine Charakterentwicklung dazukommt.

„Detroit“ USA 2017, 143 Minuten, ab 12 Jahren,
R: Kathryn Bigelow, D: John Boyega, Will Poulter, Ben O’Toole, Jacob Latimore, täglich im Studio (OmU, außer Mi) und UCI Othmarschen Park; www.detroit-film.de