Berlin.

Und warum genau mache man das jetzt? Ulrike Blume-Peytavi klingt ehrlich ungläubig. Die Leiterin der Klinik für Dermatologie an der Berliner Charité wirft während des Telefongesprächs die Internetsuche an – Suchwort: No Poo – und lernt an diesem Tag: Manche Menschen pflegen ihr Haar nicht mit Shampoo. Einige nicht einmal mit Wasser. Ein Trend, der seit einigen Jahren immer wieder in Blogs und auf Lifestyleseiten aufkommt und auch prominente Vertreter wie Gwyneth Paltrow gefunden hat. „Haben Sie schon mal versucht, fettiges Geschirr ohne Spülmittel zu säubern?“, fragt Blume-Peytavi dann. „Es wird nicht funktionieren.“

Die Anhänger des No-Poo-Trends sind da, jedenfalls in Bezug auf ihre Haare, anderer Meinung. Glänzend sei das Haar, gut zu kämmen, gesund und auch sonst seien die Vorteile offensichtlich: Keine Chemie, kein Müll. Leben in Einklang mit der Natur – früher habe es schließlich auch kein Shampoo gegeben. Auch der Kopfhaut tue man mit dem Verzicht auf Shampoo Gutes.

Ausgestorbene Arten siedeln sich wieder an

Yael Adler kann dieser Idee durchaus etwas abgewinnen. Die Berliner Dermatologin sagt: „Wer das Shampoo weglässt, gibt der Haut die Möglichkeit, sich zu regenerieren.“ Man könne es sich vorstellen wie eine Diät, die helfe, die Balance auf dem Kopf wieder herzustellen. Denn dort herrscht eigentlich eine große Artenvielfalt aus Bakterien und Pilzen – denen wir regelmäßig mit Pflegesubstanzen zu Leibe rücken. „Mit No Poo kann man dafür sorgen, dass sich im wahrsten Sinne ausgestorbene Arten wieder ansiedeln“, sagt Adler. Doch für Hygienefanatiker sei dieser Trend nicht geeignet. Zwar sei man nicht schmutzig, wenn man sein Haar nur mit Wasser wasche, dennoch „ist das Haar nicht so fluffig, wie man es vielleicht gewöhnt ist“. Entsprechend sei es auch eine psychische Sache, ob man sich mit dem neuen Gefühl auf dem Kopf dreckig fühle.

Warum wir unsere Haare waschen, hat jedoch nicht in erster Linie mit Schmutz zu tun, sondern mit Talg. Wir sagen: Jemand hat fettiges Haar – nicht schmutziges Haar. Dabei ist das Fett der Kopfhaut etwas sehr Gutes. Es kommt über eine Drüse aus den bis zu 150 000 Haarfollikeln, in denen das einzelne Haar gebildet wird, und verteilt sich über den Haarschaft auf der Kopfhaut und im Haar. „Dieser Talg schützt zum Beispiel vor Krankheitserregern“, sagt Yael Adler. Nur wer zu fettiger Haut neige, dem rät die Expertin von einem No-Poo-Experiment ab.

Die Anhänger schwören auf das Fett. Deswegen lautet ein Ratschlag: Bürsten, bürsten, bürsten. Die altbekannten 100 Bürstenstriche würden nun endlich Sinn machen, heißt es auf einigen Selbsterfahrungsseiten, etwa auf haare-nur-mit-wasser-waschen.de. Denn auf diese Weise werde das wertvolle Fett in den Haaren verteilt.

Sicher, die Fette seien sehr wertvoll, „unsere Haut braucht sie“, sagt Blume-Peytavi. Andererseits sei genau das Fett bei dem No-Poo-Trend das Problem, sagt die Dermatologin. Denn ein Teil der Schmutzpartikel, die den Tag über auf aus der Umwelt auf unsere Köpfe rieselten, würden sich mit dem Lipid, also dem Fett, verbinden. „Hefepilze lieben das fettige Milieu, vermehren sich, es kommt zu vermehrten Schüppchen und Juckreiz. Allein mit Wasser bekommen Sie den Schmutz dann nicht weg.“ Dermatologin Adler sieht es gelassener: Allein mit Wasser könne man zwar nur lose Schuppen, Staub und Schweiß aus dem Haar herauswaschen, „aber solange Sie keinen Arbeitsplatz haben, an dem Sie ständig von Ruß umgeben sind, sehe ich darin kein Problem“.

Die No-Pooer haben derweil auch Alternativen zum Shampoo zusammengetragen, zum Beispiel Roggenmehl. Die Stärke im Mehl soll das bewirken, was sonst die Tenside im Shampoo tun, das Fett lösen. Nur schonender, weil ohne Chemie. Ab und zu könne auch eine Spülung mit Apfelessig dem Haar Glanz verleihen. „Dazu einen Esslöffel Essig auf einen Liter Wasser geben. Die Mixtur auf der Kopfhaut verreiben und über die Haare gießen“, sagt Yael Adler. „Das kann man aber auch als normaler Shampoo-Nutzer ab und zu mal machen.“

Die No-Poo-Anhänger argumentieren, dass durch die Verwendung von Shampoo die Kopfhaut mehr Talg produziere. Wenn sich das Haar einmal an die Abwesenheit des Shampoos gewöhnt habe, müsse ohnehin viel seltener gewaschen werden. Allerdings berichten No-Poo-Anhänger online, dass es Wochen, sogar Monate gedauert habe, bis sich die Talgproduktion normalisiert habe. „Mythos“, sagt Blume-Peytavi. „Seit Jahren hält sich hartnäckig die These, dass die Kopfhaut mehr Talg produziert, je häufiger die Haare gewaschen werden.“ Bis heute gebe es keine wissenschaftliche Studie, die das belege. „Die Talgdrüsen haben keine Sensoren, die Signal geben, ob ausreichend Talg vorhanden ist.“ Auch Yael Adler sagt: „Die Drüsen sind vom Waschen der Haare völlig unbeeindruckt.“

Und genauso unbeeindruckt vom Kontakt mit Shampoo sei auch der Säureschutzmantel der Kopfhaut, sagt Blume-Peytavi. No-Pooer sagen, dieser Schutzmantel – eine Mischung aus Fettsäuren und Schweiß – würde durch das Waschen mit Shampoo löchrig und zu einem Einfallstor für ungebetene Gäste. „Aber eine Haarwäsche ist doch keine Tiefenreinigung“, sagt Blume-Peytavi. Natürlich sinke der pH-Wert nach einer Haarwäsche ein wenig, „er stabilisiert sich aber nach wenigen Stunden wieder“. Der pH-Wert auf der Kopfhaut sollte im sauren Bereich, im besten Fall zwischen 4,8 und 5,3, liegen.

Deswegen empfehlen die Expertinnen beide, beim Kauf eines Shampoos auf den angegebenen pH-Wert zu achten und bei einer empfindlichen Kopfhaut zu Mitteln zu greifen, die keine Konservierungsstoffe wie Parabene enthalten. „Aber wer eine gesunde Kopfhaut hat, kann ansonsten unbesorgt seine Haare täglich waschen“, sagt Yael Adler. Diese sei nämlich nicht so sensibel wie andere Hautareale.