Rom/Berlin.

Der Mann, den sie in Italien angstvoll „belva“, Bestie, nannten, hatte äußerlich wenig gemein mit einem Paten aus Hollywoods Gangsterfilmen. Nur 1,58 Meter groß war er und von gedrungener Statur. Was ihn zu einer gleichermaßen gefürchteten wie legendären Figur machte, war seine Brutalität. Um einen Rivalen zum Schweigen zu bringen, sperrte er dessen Kind zwei Jahre lang in einem unterirdischen Verlies ein, bevor er den Jungen erwürgen und in Salzsäure auflösen ließ. Nur einer von mehr als 1000 Morden, die ihm zugeschrieben werden. Nun ist Salvatore „Totò“ Riina, einer der mächtigsten Mafiabosse der Welt, tot.

Er starb einen Tag nach seinem 87. Geburtstag im Krankentrakt des Hochsicherheitsgefängnisses von Parma. Riina litt an Nierenkrebs. „Seine Geheimnisse hat er für immer mit ins Grab genommen“, kommentiert die Zeitung „La Repubblica“. Obwohl er 1993 zu lebenslanger Haft verurteilt worden war und seitdem hinter Gittern saß, galt Riina immer noch als „Boss der Bosse“ der Cosa Nostra, der Mafia auf Sizilien. Seine Einzelhaft hinderte ihn daran nicht: 2013 hörte die Polizei mit, wie Riina einem Zellennachbarn auftrug, Italiens führenden Anti-Mafia-Staatsanwalt umbringen zu lassen. Nino Di Matteo mache ihn „wahnsinnig“. Er würde ihn gerne eigenhändig umbringen, wolle aus ihm „einen leckeren Thunfisch“ machen. Im Sommer lehnte ein Gericht es ab, den Schwerkranken aus der Haft zu entlassen, um ihn „in Würde“ sterben zu lassen – sogar bettlägerig traute man Riina zu, mit einem Augenzwinkern einen Mord in Auftrag zu geben. „Totò Riina hat Sizilien nie verlassen“, schreibt der „Corriere della Sera“.

Zu seinen Opfern zählten Rivalen, Politiker, Journalisten und Unternehmer. Großes Aufsehen erregte er durch zwei Attentate 1992: Im Mai starben der Untersuchungsrichter Giovanni Falcone, dessen Frau und drei Leibwächter, als sein Wagen auf einer Autobahn über eine Sprengfalle fuhr. Einen Monat später explodierte auf Sizilien ein mit Sprengstoff gefüllter Fiat und tötete den Richter Paolo Bersellino, als der gerade seine Mutter besuchen wollte. Die beiden Juristen waren in Italien Symbolfiguren im Kampf gegen die Mafia. Der öffentliche Schock über die Morde führte dazu, dass die Polizei die Fahndung nach Riina intensivierte, ihn wenig später aufspürte und festnahm.

Vom Gauner zumBoss der Bosse

Der aus dem Mafia-Nest Corleone stammende Salvatore Riina hatte es durch extreme Brutalität von einem Kleinkriminellen an die Spitze der Cosa Nostra gebracht. Mit 19, ermittelten die Behörden, beging er seinen ersten Mord. 1980 ließ er den damaligen sizilianischen Regionalpräsidenten Piersanti Mattarella töten, den Bruder des jetzigen Staatspräsidenten Sergio Mattarella (76).

Auch nach Riinas Festnahme blieb sein Einfluss auf die sizilianischen Clans groß. „La Repubblica“ berichtete vor einigen Tagen, die sogenannte Kuppel – die Chefetage der Cosa Nostra – habe seit der Verhaftung nicht mehr getagt. Offenbar wagte es kein Mafioso, Riinas Erbe anzutreten, solange der noch lebte. „Es ist wahrscheinlich, dass es jetzt nach seinem Tod einen erbitterten Konflikt unter den verbliebenen Clans geben wird, um eine neue Hierarchie zu etablieren“, sagt Laura Garavini, Mitglied der Anti-Mafia-Kommission des italienischen Parlaments.

Die Cosa Nostra hat in den vergangenen Jahren eine neue Strategie entwickelt: „Weniger Blut, dafür mehr Korruption. Wenig Gewalt, dafür Geldwäsche, in Italien wie im Ausland“, berichtet die Journalistin Margherita Bettoni von der Rechercheplattform Correctiv. Das Netzwerk der Cosa Nostra reicht – ebenso wie das ihrer kalabrischen Konkurrenten von der ’Ndrangheta – bis nach Deutschland. Erst im Oktober nahmen italienische Anti-Mafia-Einheiten und die deutsche Kriminalpolizei 37 Mafiosi fest, unter anderem in Köln.

Trotz seiner langen Zeit im Gefängnis zeigte Riina keine Reue. Einmal hörte die Polizei mit, wie er zu seiner Frau sagte: „Sie werden mich nicht beugen können – und wenn ich noch 3000 Jahre hier drinnen sitzen muss.“