Berlin.

Von wegen Totenköpfe oder eine dezente Rose auf dem Schulterblatt. Die aktuellen Tattoo-Trends erinnern eher an Gemäldegalerien: Realistische Berglandschaften oder Motive von Wolf und Wal, expressionistische Aquarelle á la Wassily Kandinsky, polynesische Maori-Motive, klare Linien und geometrische Formen wie aus dem Matheheft. Die Muster klettern an den Armen hoch, sie umfassen die Brust, umschlingen die Beine oder gleich den ganzen Körper – inklusive, und das ist beim Stechen besonders schmerzhaft, die Achselhöhlen. Großflächig ist angesagt, jedes kleine Detail soll gut zu erkennen sein.

Tätowierungen sind so farbintensiv wie nie – und zum Massenphänomen avanciert. Fast schon selbstverständlich zieren bunte Bilder und Schriftzüge unsere Körper. Inzwischen weiß sogar Oma, dass der Enkel kein Verbrecher ist, weil er „bemalt“ ist. Einer aktuellen Studie der Universität Leipzig zufolge ist bereits jeder fünfte Deutsche tätowiert. Vor allem bei Frauen nimmt die Lust an den Körperbildern zu. Mittlerweile ist gut die Hälfte der 25- bis 34-Jährigen tätowiert – das sind 19 Prozent mehr als noch im Jahr 2009. Auch in der Altersgruppe von 35 bis 44 gibt es im Vergleich 15 Prozent mehr Tattoo-Trägerinnen.

Ähnliches gilt auch für Piercings und Körperhaarentfernungen, wie die Forscher erhoben haben. „Früher gehörten Tattoos und Piercings in die Schmuddelecke. Seemänner und Prostituierte waren tätowiert. Heute gelten Menschen mit Körpermodifikationen als aufgeweckte, interessierte Menschen, die sich zu einer sozialen Gruppe bekennen“, sagt Elmar Brähler, emeritierter Professor für Psychologie an der Leipziger Uni, der die Befragung gemeinsam mit Kollegen initiiert hat.

Gefahr von Allergien und Entzündungen

Doch auch die Bedenken gegen den dauerhaften Körperschmuck wachsen. Sich in ein Tattoo-Studio zu begeben, sollte gut überlegt sein, raten Verbraucherschützer und Mediziner. Tätowierungen bergen Gesundheitsrisiken – vor allem die größeren. Denn: Beim Tätowieren dringt eine Nadel oder ein Nadelbündel bis zu 3000-mal pro Minute unter die Haut, um die Tinte zu injizieren. Dabei wird in die tief liegende zweite Haut, die sogenannte Lederhaut, gestochen. Es entstehen empfindliche Wunden. „Je mehr Farbe in die Haut gespritzt wird, desto höher ist die Gefahr von Allergien und Entzündungen“, sagt der Dermatologe Christian Raulin von der Laserklinik Karlsruhe.

Ein großes Risiko sei die Übertragung von Viren. Ein toxischer Effekt der Farbe könne zudem Schmerzen und chronischen Muskelschwund im Bereich der Tätowierung auslösen. Tätowierfarben seien auch Ursache von Granulomen, also Knötchen, die sich um die Pigmente bilden. „Wenn dann kein Cortison anschlägt, haben wir nur die Möglichkeit, die Tattoos herauszuschneiden. Und das gibt sehr unschöne Narben“, sagt Raulin.

Nach Angaben des Verbraucherzentrale Bundesverbands enthalten viele Tätowierfarben gemeinhin giftige und teilweise sogar krebserregende Inhaltsstoffe. In einigen gelben Tinten seien etwa Cadmiumsalze nachgewiesen worden, die bei Sonnenbestrahlung starke Hautreizungen auslösen könnten. Schwarze Tinten, die vor allem den Ruß-Farbstoff „Carbon Black“ enthielten, seien häufig mit krebserregenden aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) belastet, haben die Verbraucherschützer festgestellt. Das ist insofern bedenklich, da ein Großteil der Farbpigmente gar nicht auf der Haut bleibt, sondern nach dem Einstechen in andere Bereiche des Körpers wandert – und dort unter Umständen lebensnotwendige Organe belasten könnte, befürchten Mediziner. Bisher sei dies aber eher Theorie, räumt Dermatologe Raulin ein. „Die meisten Menschen haben tatsächlich keine Probleme mit ihren Tattoos.“

Ob das langfristig so bleibt, wird sich zeigen. Wissenschaftler des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) haben gerade in einem internationalen Projekt erstmals nachgewiesen, dass sich Pigmente von Tattoo-Farbe in Größe von Nanopartikeln dauerhaft in Lymphknoten anreichern können. Das Problem: Ob und welche Folgen das für die Gesundheit haben kann, können die Forscher derzeit nicht abschätzen. Es komme vor, dass dauerhaft durch die Farbpigmente geschwollene Lymphknoten mit Melanomen verwechselt werden, berichtet Dermatologe Raulin aus der Praxis. Auch Hautkrebsvorsorgeuntersuchungen seien bei großflächigen Tätowierungen schwierig: „Da ist eine Diagnose unmöglich.“

Sportlern drohen Leistungseinbußen

Körperliche Selbstinszenierung ist vor allem in der Fußballwelt angesagt. Einst führte David Beckham die Tattoo-Bewegung an. Heute ist kaum noch ein Idol ohne. Die teuren Luxuskörper von Jérôme Boateng oder Lionel Messi wirken wie dribbelnde Gemälde. Ingo Froböse, Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln, sieht darin eine alarmierende Entwicklung.

Im August sorgte er für Aufsehen, als er der Bundesliga ein Tattoo-Verbot nahelegte. Froböse zitierte diverse Studien, nach denen Sportler mit frischen großflächigen Tätowierungen Leistungseinbußen von drei bis fünf Prozent hinnehmen müssten. Deren Thermoregulation und Regeneration werde beeinflusst, das Immunsystem geschwächt. Zudem, so Froböse, schwitze tätowierte Haut weniger. „Der Körper ist keine Lkw-Plane, die man bedrucken kann, das ist ein Organ, das atmet“, konstatierte der Sportwissenschaftler.

Abgesehen von den Risiken können Tattoos irgendwann lästig werden, wenn sich der Geschmack verändert oder das Motiv zum stichfesten No-Go degradiert ist. Ungeliebte Tattoos können zwar mittels Laser entfernt werden. Dies sei aber eine teure und langwierige Prozedur, sagt Dermatologe Raulin. „Und die ganz großen Tätowierungen, die kriegen Sie nie wieder weg.“