Johannesburg.

Manchmal, sagt Gladys Ngwenya, fühlt sie die Wut in sich hochkommen. Dann würde sie den nächsten Schlag gern mit voller Kraft platzieren. „Aber unser Trainer hat gesagt, dass wir uns zurückhalten sollen“, sagt sie. Was die doppelte Urgroßmutter allerdings nicht daran hindert, bei ihrem Boxtraining zweimal die Woche alles zu geben. Im Gemeindezentrum von Cosmo-City, einem Vorort von Johannesburg, trifft die 77-Jährige sich jeden Dienstag- und Donnerstagmorgen mit gut 20 Gleichgesinnten vor einem kleinen Fitnesszentrum, um die Fäuste wirbeln zu lassen. Gemeinsam bringen die Mitglieder des ungewöhnlichen Boxclubs locker 1500 Jahre in den Ring.

Zuerst einmal verabreicht Trainer Claude Maphosa seinen „Gogos“, wie Großmütter in der Sprache der Zulu heißen, eine halbe Knoblauchzehe und eine Ingwer-Scheibe: Das bringe das Blut in Fahrt, meint der landesweit bekannte Bodybuilder. Gogo Gladys verzieht beim Verzehr des rohen Ingwers ihr Gesicht. Doch Schwäche wird hier keine gezeigt: Sie schluckt das scharfe Wurzelstück runter. Dann wird gebetet, denn Trainer Claude ist nach eigenen Worten „ein Mann Gottes“. Und schließlich geht das eigentliche Training los – begleitet von Popmusik aus dem Gettoblaster. Die folgenden eineinhalb Stunden werden die Groß- und Urgroßmütter ihre Muskeln spielen lassen. Beim überwiegenden Teil des von Claude Maphosa sorgsam zusammengestellten Programms handelt es sich um Aerobic-Übungen – mit Betonung auf nach oben, unten, rechts und links gerichteten Faustschlägen. Auch zwei im Freien vor dem kleinen Fitnesszentrum aufgehängte Boxsäcke kommen zum Einsatz. Für Trainer Claude, der eigentlich John heißt, sich aber nach Actionstar Jean-Claude van Damme benannt hat, sind seine Großmütter „lustiger als Kinder“ und schlicht „einzigartig“. Deswegen rennen ihm auch Fernsehteams aus allen Ecken der Erde die Türen ein: Sie kamen aus den USA, aus England und Australien.

Den Anstoß für das Gogo-Boxen hatten die Großmütter selbst gegeben. Nachdem die Stadt Johannesburg vor vier Jahren das Gemeindezentrum in Cosmo-City errichtet hatte und Claude Maphosa einen winzigen Teil des Gebäudes für sein Fitnessstudio abzweigen durfte, stand eines Tages Gladys Ngwenya mit einer Freundin im Raum: Auch sie wollten Hanteln stemmen und sich an den Kraftmaschinen austoben. Trainer Claude hielt das für keine gute Idee: Statt die müden Muskeln der Gogos den gnadenlosen Maschinen auszusetzen, entwickelte der 40-jährige Körperexperte ein Fitness-Programm für sein Seniorenteam.

Wie viel zu viele schwarze Südafrikanerinnen leidet Gladys Ngwenya an hohem Blutdruck: Der tägliche Stress vom Über-die-Runden-Kommen fordert seinen Tribut. Die Rentnerin lebt mit zwei Töchtern, fünf Enkeln und zwei Urenkeln in einem knapp 50 Quadratmeter großen Häuschen, das sie vom Staat geschenkt bekommen hat: Sie erhält außerdem gut 100 Euro Rente im Monat. Aber der hohe Blutdruck ist weg. Inzwischen geht sie nur noch einmal im halben Jahr zum Arzt, um sich durchchecken zu lassen: Die letzten drei Male habe es keine Probleme gegeben.

Krankheiten verschwinden wundersamerweise

Auch Ngwenyas Box-Partnerinnen wissen von wunderbaren Veränderungen zu berichten: Die über 80-jährige Zodwa Twala kann wieder ohne Stock gehen, die 65-jährige Anna Makoene hat ihre Zuckererkrankung in den Griff bekommen, und die 77-jährige Maria Mokhine fühlt sich nach dem Training „wie eine 35 Jahre junge Frau“. Über Muskelkater oder Verspannungen klagen die Gogos schon lange nicht mehr: „Sie sind fitter als viele Jugendliche“, protzt Trainer Claude. Noch wichtiger: Die Großmütter vergessen während des Trainings die Nöte ihres Lebens.

Und so bringt Claude Maphosa es partout nicht übers Herz, den Gogos fürs Training Geld abzunehmen: Stattdessen kriegen sie zum Abschied sogar alle noch einen Apfel.