Markus Gollers „Simpel“ ist ein Bruderdrama, das bis in die kleinsten Rollen prominent besetzt ist und als tolles Roadmovie über Behinderung und Freundschaft direkt ins Herz fährt

Ein junger Mann steht am Sarg seiner Mutter. „Musst dir keine Sorgen machen, Mama“, sagt er. „Ich pass auf Ben auf. Ich bin doch der Große.“ Eine rührende Geste. Rührend vor allem, weil Barnabas zwar der Ältere, aber geistig zurückgeblieben ist. Weshalb ihn auch alle Simpel nennen, was durchaus nicht abfällig, sondern ganz liebevoll gemeint ist.

Ein Leben lang hat sich der jüngere Ben um Simpel gekümmert. In den letzten Jahren hat er sich auch noch um die Mutter gekümmert, als die schwer krank wurde. Nun aber ist sie tot, Ben steht allein mit Simpel da. Der braucht Ganztagsbetreuung, das kann der Bruder kaum leisten. Deshalb steht schon bei der Beerdigung ein wohlmeinender Heimleiter da, der Simpel mitnehmen will.

Ben versucht das Unvermeidliche zu verhindern. Als Simpel dann doch abgeholt wird – im Polizeiauto des Orts, auf dem Land sind die Möglichkeiten begrenzt –, lässt Ben es erst widerwillig geschehen. Als Simpel aber entdeckt, dass es hier nicht um eine „Verreise“ von ihnen beiden geht, und in Panik gerät, rennt Ben dem Auto nach. Wirft den Polizisten aus selbigem, den Heimleiter auch. Und büxt mit Simpel – und dem Polizeiauto – aus.

Freund- und Brüderschaften sind ein Dauerthema des Regisseurs

Freund-, Brüderschaften, Geschichten zwischen jungen Männern, das scheint das große Thema von Markus Goller zu sein. In „Friendship“ schickte er Friedrich Mücke und Matthias Schweighöfer als Ossis kurz nach dem Mauerfall auf Vatersuche in die USA. Gerade dreht er „25 km/h“, wo sich Lars Eidinger und Bjarne Mädel als ungleiche Brüder auf den Trip ihres Lebens vom Schwarzwald nach Rügen machen – auf einem Mofa. Und in „Simpel“ schlagen sich die Brüder nach Hamburg durch zu ihrem hartherzigen Vater (Devid Striesow), der sie einst im Stich ließ. Filme über Behinderte können leicht danebengehen. Doch „Simpel“ wird ganz und gar getragen von David Kross, dem Star aus „Knallhart“ und „Der Vorleser“, der hier seine bislang anspruchsvollste Rolle meistert. Es ist bewegend, wie er bei Eiseskälte in Unterhosen und Moonboots im Watt tanzt und mit seiner naiven Gutmütigkeit selbst die Herzen wildfremder Menschen öffnet. Aber auch Frederick Lau („Victoria“) berührt als Ben, der alles für seinen Bruder tut – auch wenn er heillos überfordert ist.

Die Reise in die Großstadt gerät zur Odyssee, bei der die beiden nicht nur die Bekanntschaft mit einer hilfsbereiten Medizinstudentin (Emilia Schüle) machen, sondern auch mit einer zeigefreudigen Prostituierten (Annette Frier) und einem gewalttätigen Zuhälter. Goller zeigt all das ohne falsches Pathos, aber mit viel Empathie und Humor. Dabei verharmlost er nichts – wenn Simpel allein gelassen wird, gerät schon mal eine Küche in Brand. Mag auch die eine oder andere Szene etwas sozialkitschig geraten sein, wird das wettgemacht durch das aufrüttelnde Spiel des prominent besetzten Ensembles. Ein Roadmovie ins Herz, bei dem kein Auge trocken bleibt.

„Simpel“ Deutschland 2017, 113 Min., ab 6 Jahren, R: Markus Goller, D: David Kross, Frederick Lau, Emilia Schüle, Devid Striesow, täglich im Cinemaxx Dammtor, Koralle, Passage, Studio, UCI Mundsburg/Othmarschen Park; www.simpel-film.de