Kapstadt.

Es war ein Mammutprozess, der die Welt viereinhalb Jahre lang in Atem hielt: das Verfahren gegen den Ausnahmesportler Oscar Pistorius, dem seit der Geburt die Wadenbeine fehlen. Am Valentinstag 2013 hatte der Südafrikaner seine Freundin Reeva Steenkamp in seiner Villa in Pretoria mit vier Pistolenschüssen getötet, abgefeuert durch die geschlossene Badezimmertür. Millionen verfolgten die Verhandlungen live im Fernsehen und sahen den Fall des gefeierten Athleten zum Todesschützen.

Jetzt, mehr als ein Jahr nach der Verurteilung wegen Totschlags, geht alles in eine neue Runde: Die Staatsanwaltschaft will das „schockierend geringe“ Strafmaß von sechs Jahren Haft außer Kraft setzen. Denn, so Staatsanwältin Andrea Johnson, für Totschlag gelte üblicherweise eine Mindeststrafe von 15 Jahren. Über das Ersuchen wird seit Freitag vor dem Berufungsgericht in Bloemfontein verhandelt. Wann die Entscheidung der Richter feststehen wird, ist bislang nicht bekannt.

Anklägerin Johnson begründete ihren Antrag am Freitag mit dem Vorwurf, Pistorius habe niemals wirkliche Reue gezeigt: Eine dermaßen deutliche Unterschreitung des Strafmaßes sei deshalb unangemessen. Zwar habe Pistorius vor Gericht um Entschuldigung gebeten, er habe sich jedoch nie zu dem Verbrechen bekannt: „Viele Angeklagte bedauern ihre Taten ... aber das entspricht nicht wirklicher Reue.“ Sondern, wie sie sagte, Selbstmitleid.

Der inhaftierte Sportler, der sich einst auf Karbonprothesen sechs Goldmedaillen ersprintete, war bei der Anhörung nicht selbst anwesend: Er wurde wie immer von dem prominenten Verteidiger Barry Roux („der Fuchs“) vertreten. Roux wies die Anschuldigung der Staatsanwaltschaft zurück, dass sein Mandant keine wirkliche Reue gezeigt habe. „Er ist ein gebrochener Mann“, sagte Roux. Sein Mandant habe Reeva Steenkamp nicht töten wollen, es sei „ein Unfall“ gewesen. Pistorius habe sich von der Person in der Toilette tatsächlich gefährdet und wegen seiner Behinderung äußerst verletzlich gefühlt. Der heute 30-Jährige sei der Überzeugung gewesen, dass es sich bei der Person in der Toilette um einen Einbrecher gehandelt hat. Die Pistorius-Familie warf den Anklägern einen „Feldzug“ vor. Ins kollektive Gedächtnis gebrannt haben sich die Bilder vom ersten Prozess, als Pistorius in Tränen aufgelöst ohne seine Prothesen zum Richterpult lief.

Film über den Fall mit Model Toni Garrn hat Premiere

Richterin Thokozile Masipa hatte bei ihrem Urteil 2016 ähnlich argumentiert wie die Anwälte. „Er ist ein gefallener Held, er hat seine Karriere verloren, er ist finanziell ruiniert“, begründetet sie ihre mildernden Umstände. Er sei Ersttäter und müsse eine Chance bekommen, sich zu rehabilitieren. Pistorius war 2016 nach langer juristischer Auseinandersetzung wegen „Mordes“ verurteilt worden, was im deutschen Recht dem Totschlag entspricht. Das relativ milde Urteil der schwarzen Richterin hatte in Südafrika Empörung ausgelöst. Für viele war es ein Zeichen gewesen, dass wohlhabende Angehörige der weißen Minderheit vor Gericht immer noch besser behandelt werden als Schwarze. Die Frauenorganisation der Regierungspartei ANC kritisierte zudem, das Urteil sende ein fatales Signal der Nachsicht gegenüber häuslicher Gewalt. Manche Südafrikaner unabhängig von ihrer Ethnie sind allerdings des Themas überdrüssig und möchten, dass Pistorius endlich in Ruhe gelassen wird.

Aufsehen erregte am Kap der Guten Hoffnung auch die Ankündigung einer US-Produktionsfirma, einen Spielfilm über den Fall Pistorius auf den Markt zu bringen. Am 11. November nun soll er im amerikanischen Kabelfernsehesender Lifetime gezeigt werden. In dem „Blade Runner Killer“ betitelten Streifen spielt das deutsche Topmodel Toni Garrn die Rolle von Reeva Steenkamp, Pistorius selbst wird von dem New Yorker Schauspieler Andreas Damm dargestellt.

Sowohl Steenkamps Familie als auch die Angehörigen des Verurteilten distanzierten sich bereits von dem Film: Man erwäge auch gerichtliche Schritte, gab Oscars Bruder Carl Pistorius bekannt. Der Film sei eine „grobe Verzerrung“ der Tatsachen. Ein Ende der Gerichtstermine ist also womöglich noch lange nicht in Sicht.