Von einer Schiffsreise nach Amerika, Mahagoni-Sehnsucht und der Frage nach der transatlantischen Idee

Wenn Sie diese Zeilen lesen, schwanke ich auf dem Atlantik irgendwo zwischen Europa und Amerika. Ich darf Lesern des Hamburger Abendblatts auf unserer gemeinsamen Überfahrt mit Frühsport, Vorträgen und Diskussionen die Zeit vertreiben – welch ein Privileg gegenüber den Kollegen, die seit Wochen um taktikbeseelte Berliner Koalitionäre herumlungern.

Bitte sehen Sie spätestens an dieser Stelle all Ihre Vorurteile gegenüber nichtsnutzigen, vergnügungssüchtigen Journalisten bestätigt. Ja, als ich zusagte, im Frühjahr, war tatsächlich dieses wundersame Kreuzfahrtgefühl aufgestiegen: Mahagoni, weiter Horizont; die Bordkapelle spielt Dvoraks 9. Symphonie oder Udo Jürgens, dazu diese klitzekleine Prise Titanic-Panik. Doch die prächtige Genussreise ist mit Nostalgie aufgeladen, mit gesamtglobalem Unbehagen. Beim Start in Southampton befand ich mich womöglich zum letzten Mal auf einer europäischen Insel, bevor dieser mutwillig bescheuerte Brexit Wirklichkeit wird.

Und das Annähern an die Neue Welt vom Wasser aus – Freiheitsstatue, Ellis Island, Skyline – fühlt sich auch nicht wie die große Freiheit an. Kaum hatten wir uns widerwillig an einen Präsidenten gewöhnt, der sicherheitshalber von drei Generälen umstellt ist, da liefert der irre Attentäter von Manhattan den nächsten Vorwand für Feuerwerkspolitik. England und London, die USA und New York, das waren immer Zukunftsorte; dort spielte die Musik, dort tobte die Kunst. Was waren wir froh, wenn ein wenig Studio 54, Warhol und Bowie nach Deutschland geschwappt kam.

Und jetzt? Alles kaputt, der freie Westen, die transatlantische Idee? Nur noch Geschichte, was uns prägte? Freiheit ade? Zwiespältigen Trost spendet der große Weltversteher Alexis de Tocqueville: „Der Mensch bleibt in kritischen Situationen selten auf seinem gewohnten Niveau. Er hebt sich darüber oder sinkt darunter.“

Seite 15 83 Leser auf der „Queen Mary 2“