Sally Hawkins begeistert im Drama „Maudie“ mit komplexem Spiel als Künstlerin Maud Lewis

Die Wirklichkeit mag nicht immer dem entsprechen, wie man sie sich vorstellt. Eine ganz eigene Perspektive hatte die kanadische Malerin Maud Lewis, und die hielt sie in ihren Bildern fest. Die 1903 in Novia Scotia im Osten Kanadas geborene Malerin war lang verkannt und gilt mittlerweile als eine der wichtigsten Volkskünstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Dabei litt sie Zeit ihres Lebens an den Folgen einer rheumatischen Arthritis, die ihr schon in der Kindheit Hände und Arme verkrüppelte.

Aisling Walshs Spielfilm zeichnet nun ihr Leben nach, ganz unsentimental und zurückgenommen. Wie kürzlich in Stanley Tuccis „Final Portrait“ über Alberto Giacometti, ist auch Walshs Film keine klassische Biografie, die möglichst viele Lebensstationen abhakt, sondern konzentriert sich auf die für Lewis künstlerisch prägende Phase.

Nach dem Tod ihrer Eltern lebt Maud mit Mitte 30 bei ihrer verbitterten Tante (Gabrielle Rose), die sie für genauso wenig selbstständig lebensfähig hält wie ihr Bruder (Zachary Bennett). Trotz ihrer Behinderung heuert sie als Hausmädchen bei Everett Lewis (Ethan Hawke) an, einem alleinstehenden Fischer, der in einer abgelegenen Holzhütte haust. Das Leben ist hart, der Arbeitgeber ein grober, herrischer Kerl, und Maud taugt so gar nicht fürs Putzen und Kochen. Doch als sie einen Farbtopf entdeckt, fängt sie an, die Wände und Fenster der trostlosen Hütte mit naiven Blumenmalereien auszuschmücken. Bald malt sie auch klassische Bilder mit folkloristischen Motiven in knalligen Farben. Und nicht nur Eve­rett erkennt schließlich ihr Talent, sondern bald auch die Öffentlichkeit.

Walsh und ihr Kameramann Guy Godfree inszenieren die karge Landschaft, in der Maud haust, als Kontrast zu den optimistisch-naiven Bildern. Leicht hätte der Film ein verklärtes Bild eines bescheidenen Daseins einer darbenden Künstlerin in den 50er-Jahren werden können, wäre da nicht die Besetzung mit der britischen Schauspielerin Sally Hawkins. Die begeisterte schon auf der Berlinale 2008 in Mike Leighs Komödie „Happy Go Lucky“ als stets gut gelaunte Poppy. Und auch hier schafft sie es, diese schrullige, unermüdliche Figur weder bemitleidenswert noch karikaturesk geraten zu lasen, sondern ihr komplexes, widersprüchliches Leben einzuhauchen.

Neben „Maudie“ spielt Hawkins in Guillermo del Toros Fantasy-Märchen „Shape Of Water“, der vergangenen Monat als bester Film auf dem Festival in Venedig ausgezeichnet wurde, eine stumme Putzfrau, die sich im Amerika der 50er-Jahre in ein Seeungeheuer verliebt. Mit diesen beiden Rollen gilt sie nun völlig zu Recht als frühe Oscar-Kandidatin.

Großartig ist aber auch Ethan Hawke als grummeliger Einsiedler, der mit kleinen Blicken und Gesten einen Mann verkörpert, dessen Verkrüppelungen psychischer Art sind und der sich lange jeder Emotionalität verwehrt, bis auch er Mauds Lebensgeist erliegt. „Maudie“ ist so nicht nur das Porträt einer außergewöhnlichen Künstlerin, sondern auch die Geschichte einer unerwarteten Liebe.

„Maudie“ CAN/IR 2016, 116 Min., ab 12 J.,
R: Aisling Walsh, D: Sally Hawkins, Ethan Hawke, Kari Matchett, täglich im Abaton (OmU), Holi, Zeise; maudie-derfilm.de