Das Doku-Drama „Die Unsichtbaren“ erzählt – einzigartig und berührend – von Juden, die 1943 in Berlin untertauchten

Dieser Film ist ungewöhnlich. Es geht um den Holocaust, Berlin 1943, in der Reichshauptstadt fangen die Deportationen der allerletzten dort lebenden jüdischen Berliner an. Viele Tausende Bürger der Stadt waren in den Jahren zuvor emi­griert, aber nicht alle wollten, nicht alle konnten gehen. Nun ist auch die letzte Fluchttür geschlossen, Deutschland führt Krieg, und aus dem Bahnhof Wannsee rollen seit 1941 die Züge nach Osten. Ins Getto. Ins „Arbeitslager“, wie es heißt. In den Tod. Alle Züge im Jahr 1943 gehen direkt nach Auschwitz.

Ungewöhnlich ist nun, dass es in dem Film – mitten in diesem staatlich organisierten Massenmord – um überlebende Berliner Juden geht. Und dass sie wirklich überlebt haben, sieht man faktisch vor sich, denn „Die Unsichtbaren“ ist ein Doku-Drama, es werden Interviews mit den realen Vorbildern der Filmfiguren hineingeschnitten. Sie wurden 2009 geführt. Man sieht die älteren Damen und Herren in ihren Wohnungen, ganz privat. Und sie erzählen von damals, von ihrer Zeit als ­U-Boot im Berlin der frühen 40er-Jahre.

Einige Menschen waren trotz Diktatur, trotz Bombenkrieg bereit zu helfen

U-Boote, so hießen die Berliner Juden, die sich der Deportation entzogen, indem sie in der Großstadt untertauchten. Sie trennten den vorgeschriebenen gelben Judenstern von ihrer Kleidung, und wenn sie Glück hatten, ergatterten sie einen gefälschten Pass. Ihr Leben war unfassbar anstrengend, weil sie tagsüber immer in Bewegung bleiben mussten, ohne Ziel, ohne Arbeit. Und nachts Orte zum Schlafen finden mussten.

Jede der vier Geschichten, die mit Spielfilmszenen nacherzählt werden, ist so passiert, jede ist auf ihre ganz eigene Weise einzigartig, berührend und in ihrem Mut überraschend. Wie die Geschichte von Cioma Schönhaus, der von Max Mauff gespielt wird – er hat Grafiker gelernt, entzieht sich durch Chuzpe der Todesliste, taucht dann unter und entdeckt seine Berufung zum Passfälscher. Ein begnadeter, allerdings ziemlich schusseliger Passfälscher. Ihm geht allerlei schief, so lässt er aus Versehen seinen Rucksack mit zu fälschenden Papieren im Bus liegen, eine Katastrophe für alle.

Man merkt in dem Film, wie jung diese Überlebenden waren, wie kraftvoll, wie wild entschlossen, diesen deutschen Albtraum zu überstehen in der Stadt, die eigentlich ihr Zuhause gewesen war. Und man erfährt auch, dass einige Menschen trotz Diktatur, trotz Bombenkrieg bereit waren, zu helfen. Es sind die stillen Helden, die einwilligen, zu verstecken, Arbeit zu geben, Schutz zu bieten, soweit es in ihrer Macht steht. Sogar ein Wehrmachtsoffizier in Zehlendorf schützt Ruth Arndt (gespielt von Ruby O. Fee), indem er sie und ihre Freundin, ebenfalls eine Jüdin, bei sich in der Villa als Haushalthilfe arbeiten lässt. Alle wissen Bescheid, doch nichts wird ausgesprochen.

Nun kann man meinen, ein Film, der Überlebende zeigt – ist das nicht eine Geschichtsverklärung? Sechs Millionen europäischer Juden wurden umgebracht, davon rund 165.000 Deutsche. Sollte es da nicht hauptsächlich um den Tod gehen? Doch der Film schafft etwas Berührendes: Man sieht die alten Damen und Herren, man hört von ihrem Leben danach, von den Kindern und Enkeln, die jetzt ihr Leben erfüllen. Und plötzlich wird einem klar, man spürt es fast physisch im Kinosessel – die Millionen Toten, darunter viele junge Menschen, viele Kinder, sie hätten mit ihrem Überleben so viele Leben nach sich gezogen. Und man verlässt den Film in großer Trauer – trotz der Freude für die wenigen, die es geschafft haben.

Dieser Film ist auch ein Dokument. Wir leben in Zeiten, in denen es immer weniger Zeitzeugen gibt; allein von den vier Interviewten sind inzwischen zwei gestorben. Wohl ganz normal gestorben, weil sie eben alt waren. So wie ein Leben halt enden sollte.

„Die Unsichtbaren – Wir wollen leben“ D 2017, 110 Min., ab 12 J., R: Claus Räfle,
D: Alice Dwyer, Max Mauff, Ruby O. Fee,
Aaron Altaras, täglich im Abaton, Passage;
www.tobis.de/film/die-unsichtbaren-wir-wollen-leben