Berlin.

Gespräche über die optimale Familienplanung enden meist in der immer gleichen Erkenntnis – den perfekten Zeitpunkt gibt es nicht. Und dennoch wird fleißig abgewägt: Ist es am besten, wenn das Kind vor Beginn der Karriere bereits da ist? Oder erst wenn man schon fest im Sattel sitzt? Erst wenn die Welt bereist ist? Wenn schon ein bisschen Geld beiseitegelegt ist? „Bei all diesen Fragen gerät ein Aspekt in den Hintergrund“, sagt Silvia Hecher: „Die Fruchtbarkeit einer Frau ist etwas sehr Individuelles.“ Dass schwanger wird, wer schwanger werden möchte, sei ein Irrglaube. Vor diesem Hintergrund hat Hecher das Unternehmen „Ivary“ gegründet. Es bietet einen Fruchtbarkeitstest an, mit dem jede Frau ihre Eizellenreserve bestimmen lassen kann.

Frauen, die wissen wollen: Wie viel Zeit bleibt mir noch?

Das Unternehmen der Österreicherin ist eines von vielen Start-ups, die sich derzeit zu den Themen Bestimmung der Fruchtbarkeit, Verhütung, Schwangerschaft, Planung von Kind und Karriere gründen. Femtech nennen die Gründerinnen ein Geschäftsfeld, ein Kunstwort aus den Worten „female“ (engl. für weiblich) und „technology“. Es gehe ihnen, so erzählen sie bei einem Frühstück in Berlin-Mitte, um die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper – und darum die Dinge nicht dem Zufall zu überlassen. „Die 20-Jährige, die sagt: ‚Wenn’s passiert, dann passiert’s‘ – die gibt es heute kaum noch“, sagt Silvia Hecher.

Frauen wollen zwar planen, „glauben dabei aber, sie können sehr lange und schnell schwanger werden“, sagt Hecher, die auch für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und als Kinderwunsch-Coach tätig war. Ihr Unternehmen hat 1300 Frauen befragt, 80 Prozent überschätzen demnach, wie lange sie schwanger werden können. „Es gibt kein Bewusstsein dafür, wie unterschiedlich die Fruchtbarkeit sein kann“, sagt Hecher. Können manche Frauen mit Mitte 40 noch Kinder bekommen, endet bei anderen die fruchtbare Phase zehn Jahre früher.

Der Eizellentest von „Ivary“ bestimmt anhand des sogenannten anti-Müller-Hormons (AMH), wie groß der Eizellvorrat einer Frau noch ist. Ein Verfahren, das auch Frauenärzte anwenden: „Wenn bei einem Paar über ein Jahr lang trotz Weglassen der Verhütung keine Schwangerschaft zustande gekommen ist, würde von ärztlicher Seite eine vertiefte Kinderwunschdiagnostik gestartet, zu der auch die Messung des AMH gehören kann“, sagt Christian Albring, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF). „Wenn die Frau dieser Diagnostik zuvorkommen will, sei ihr das freigestellt. Ob das sinnvoll ist, ist eine andere Frage.“ Doch die Zielgruppe von „Ivary“ seien eben gerade nicht Frauen, die bereits Monate des Probierens hinter sich haben, sagt Silvia Hecher, sondern jene, die akut keinen Kinderwunsch haben, aber wissen wollen: Wie viel Zeit bleibt mir noch?

Neu bei „Ivary“ sei außerdem, dass auch altersabhängige Berechnungen, Lebensstilfaktoren und die Form der Verhütung mit in eine softwarebasierte Berechnung einfließen, so Hecher. Rund 150 Euro kostet der Test, den Frauen zu Hause machen können. Ein wenig Blut kommt in ein Röhrchen, zurück kommt ein mehrseitiges Exposé mit einer Einschätzung zur Eizellreserve und der voraussichtlichen Entwicklung ihrer Fruchtbarkeit.

Auch bei Lea von Bidder war der Auslöser für die Gründung von „Ava“ das Unwissen. Ein befreundetes Paar plante Nachwuchs, wie viele andere waren die beiden davon ausgegangen, dass das schon irgendwie funktionieren würde. Sie waren jung, gesund. „Aber es klappte zunächst nicht. Denn was sich viele nicht klarmachen: Das fruchtbare Fenster innerhalb eines Zyklus ist sehr klein“, sagt Lea von Bidder. Sie malt einen Graphen auf ein Blatt Papier, auf der X-Achse schraffiert sie einen schmalen Abschnitt. „Maximal sechs Tage.“

Was der Graph auch zeigt: Der Wert des Hormons Estradiol steigt in diesen Tagen auf ein Maximum an. Dieser Wert ist der Ausgangspunkt ihrer Unternehmensgründung, denn der Anstieg des Estradiol-Spiegels ist mit Veränderungen im Körper verbunden, die sich messen lassen. „Wir dachten: Heute muss doch mit Sensortechnologie Besseres möglich sein als etwa die Bestimmung der Fruchtbarkeit über die Temperaturmethode“, sagt die Schweizerin. Lea von Bidder hat also ein Armband entwickelt, das die fruchtbaren Tage bestimmen kann. Die Frau trägt das Armband in der Nacht, ein Sensor misst neun verschiedene Parameter wie Temperatur der Haut, den Ruhepuls, die Durchblutung oder die Qualität des Schlafs von denen auf den Hormonspiegel geschlossen werden kann. Die Parameter sind Ergebnis einer klinischen Studie am Universitätsklinikum Zürich. Die erfassten Daten werden dann am Morgen mit der App synchronisiert. „Wir konnten in der klinischen Studie zeigen, dass das Armband mit einer Genauigkeit von 89 Prozent im Schnitt 5,3 fruchtbare Tage pro Zyklus erkennt“, erklärt Lea von Bidder. Sie betont jedoch, dass der Fruchtbarkeitstracker nicht den Besuch beim Arzt ersetzen soll. „Wir sehen uns als Ergänzung. Die Erfassung der Daten legen wir in die Hände der Frauen“, sagt von Bidder, „mit diesen Daten können die Frauen dann bei Problemen zum Arzt gehen und sie besprechen.“

Noch kann das Armband nicht als Verhütungsmethode verwendet werden, „wir arbeiten aber daran“, sagt sie. Könne man die sechs fruchtbaren Tage im Monat sehr präzise bestimmen, könne man dann auch die hormonelle Verhütung ganz weglassen. „Digital Health wird die Pharmabranche bald in große Bedrängnis bringen.“