Welch ein Affentheater. Bei einem Museumsdiner wird als Performance die Konfrontation mit einem wilden Tier angekündigt. Stattdessen springt ein halb nackter Mann herein, der auf Primat macht und auf die gedeckten Tische springt. Das kann man lustig oder peinlich finden. Als der „Künstler“ eine Frau unter den Gästen drangsaliert, guckt der Saal lange betreten weg. Als die Performance außer Kontrolle gerät und die wimmernde Frau zu Boden gerissen wird, schreitet doch noch einer der Gäste ein. Damit ist ein Damm gebrochen. Immer mehr der wohlsituierten Herren springen auf – und prügeln auf den Künstler ein.

Es sind solche Szenen, die Ruben Östlunds Film „The Square“ manchmal unerträglich und doch so eindringlich machen. Weil er uns auf schmerzhafte Weise einen Spiegel vorhält. Eigentlich geht es hier um einen Museumskurator, dem die Quadratur des Kreises gelingen soll: neue Publikumsscharen anziehen, Medien­interesse wecken und trotzdem die altehrwürdigen Sponsoren nicht verprellen. Aber dann bricht durch eine Banalität das ganze moralische Gerüst dieses Kulturmachers zusammen.

Die Kunstszene ist klein, elitär, auch ein bisschen abgehoben. Und wenn ich schon nicht oft ins Museum gehe, so kann man sich als Zuschauer fragen, muss ich da ins Kino, um hinter die Kulissen zu blicken? Aber ja. Weil hier über nichts weniger als Wohl, Wehe und Werte der ganzen westlichen Welt verhandelt wird. Dabei lotet Östlund immer wieder Schmerzgrenzen aus. Auf dem Filmfestival in Cannes wurde „The Square“ im Mai mit der Goldenen Palme ausgezeichnet.

Die Ausstellung, um die es hier geht, ist das Titel gebende Quadrat. In einem modernen Museum in Stockholm wird es ins Pflaster des Atriums eingelassen und soll, so besagt es die Plakette daneben, ein Zufluchtsort sein, „wo Vertrauen und Fürsorge herrschen“ und alle „die gleichen­ Rechte und Pflichten“ haben. Abstraktion pur. Auftrag der Kunst. Der smarte, eloquente Chefkurator Christian ­(Claes Bang) weiß das in wohlgesetzten Worten zu erläutern.

Aber bei den Obdachlosen, die direkt vor seinem Museum betteln, guckt er genauso weg wie alle anderen. Da hat es sich schon mit der Fürsorge. Als eine Frau auf der Straße schreit, dass ein Mann sie drangsaliert (die Parallelen zu der Affen-Performance sind keineswegs zufällig), da wird er doch gezwungen, einzuschreiten, stellt sich mit einem anderen Passanten schützend vor die Frau. Man klopft sich noch gegenseitig auf die Schulter über diese Heldentat, aber danach stellt Christian fest, dass ihm dabei Handy und Geldbeutel gestohlen wurden.

Das sind Peanuts für einen gut betuchten Kulturmanager. Aber ärgern tut es einen doch. Statt genau hinzuhören, welch perfide PR-Strategie sich zwei junge Social-Media-Hipster für seine Ausstellung aushecken, arbeitet Christian lieber mit dem Computer-Experten des Museums daran, wie er sein Handy orten und zurückerobern kann. Dafür verlässt der selbstsichere Mann einmal die ihm vertraute Blase. Plötzlich steht er mit seinem dicken schicken Wagen vor einem tristen Wohnsilo, wo das Diebesgut liegen soll. Eine Gegend, in der man besser nicht aussteigt. Aber Christian verlässt, um im Bild zu bleiben, sein Quadrat. Eine Verkettung kleiner Katastrophen, die schließlich zu einer großen führt.

Öfter, als einem lieb ist, identifiziert man sich mit einem Unsympathen

Der hochzynische Werbeclip zur Ausstellung, um den sich Christian bei alledem nur halbherzig kümmert, sorgt nämlich für eine landesweite Schockwelle. Damit immerhin, bittere Ironie, hat Christian wirklich eine Kontroverse ausgelöst. Nur geht die nicht über die Ausstellung, sondern über seine Person. Nach und nach bröckelt nicht nur das Selbstverständnis, sondern das gesamte Weltbild des Mannes. Und obwohl er im Grunde nichts weiter ist als ein eitler Popanz, bleibt man doch an dem Unsympathen dran. Und identifiziert sich mit ihm öfter, als einem lieb ist.

Schon mit seinem letzten Film „Höhere Gewalt“ hat der Schwede Östlund nachhaltig verstört. Da ging es um eine Lawine, die über einen Ferienort niedergeht, und einen Familienvater, der sich lieber selbst in Sicherheit bringt. In „The Square“ treiben Östlund dieselben Themen um Verantwortung, Vertrauen und Empathie um, aber diesmal in einem groß angelegten Gesellschaftsdrama.

Um die blasierte Kulturschickeria geht es dabei nur am Rande, sie wäre auch ein zu einfaches Opfer für eine Satire. Nein, Östlund teilt kräftig und großzügig in alle Richtungen aus, übt Medienschelte, geißelt verfehlte Sozialpolitik. „The Square“ ist nicht weniger als eine Satire auf den modernen Menschen mit seiner Doppelmoral. Und das mitten in einem Land, das doch für seine weitreichende Sozialpolitik weltweit als Vorbild dient.

„The Square“ SWE 2017, 145 Minuten, ab 12 Jahren, Regie: Ruben Östlund, Darsteller: Claes Bang, Elisabeth Moss, Dominic West, täglich im Abaton, Holi, Koralle, Passage, Zeise