Die Tragikomödie „Es war einmal in Indianerland“ nach einem Roman von Nils Mohl ist ein toller Mix zwischen Märchen und Western

Hui, was für ein Auftakt! In den ersten Minuten dieses Film werden die Figuren mit einer Geschwindigkeit eingeführt, bei der man schon vom Zusehen Seitenstechen bekommt. Rasante Bilder, Schnittstakkato, Reißschwenks und Rückblenden im Schnelldurchlauf, als spule man eine alte Videokassette zurück. Dabei rennt nicht nur der Held gegen eine Laterne, da taumelt auch der Zuschauer. Coming-of-Age-Geschichten erzählen immer vom Chaos der Gefühle, das einen in der Pubertät erwischt. Aber selten wurden sie so adäquat in ein Chaos der Bilder umgesetzt.

Was für ein Einstand! Ilker Çatak hat für seine Kurzfilme schon mehrere Max-Ophüls-Preise und den Studenten-Oscar 2015 gewonnen. Mit seinem Spielfilmdebüt wagt er sich nun gleich an einen Kultroman, von dem nicht wenige behaupten, er sei unverfilmbar. Aber genau das hat den Debütanten gereizt. Romanautor Nils Mohl hat mit am Drehbuch gesessen, und Çatak hat dessen wilden Plot in einen galoppierenden Bilderrausch übersetzt.

Der Film springt vor und zurück wie der jugendliche (Anti-)Held in seinem Denken. „Indianerland“ ist ein Abenteuerspielplatz, bei dem sich Çatak in allem austobt: Ästhetik, Tempo, Musik. „Nur so“, postuliert er selbstbewusst, „funktioniert für mich Kino: Raus aus der Sicherheit! Wir müssen uns trauen!“

Schon der Titel prophezeit ja einen wilden Stilmix zwischen Märchen und Großstadt-Western. Mauser (Nachwuchshoffnung Leonard Scheicher) ist 17 und lebt in einer heruntergekommenen Hochhaussiedlung. Er will da raus, dafür boxt er, dafür will er gewinnen. Eigentlich ein ganz normaler Junge. Der wegen seines Sports nicht raucht, nicht trinkt und auch sonst keine Drogen nimmt. Um ihn herum sind allerdings alle ziemlich durch. Sein bester Freund Kondor (Joel Basman), der den Drogentod seines Bruders mit lauter Grenzüberschreitungen kompensiert. Mausers Vater Zöllner (Clemens Schick), der nicht nur irre guckt, sondern auch eine tote Frau in der Wohnung liegen hat. Und die schöne Jackie (Emilia Schüle), in die Mauser sich verliebt. Die aber unerreichbar für ihn ist, weil sie reiche Eltern hat. Weil sie, um im Märchen zu bleiben, eine Prinzessin ist. Und wilde, orgiastische Partys feiert.

Und da ist noch die geheimnisvolle, ein wenig ältere Edda (Johanna Polley), die in Mauser verliebt ist, ein Aschenputtel, das er kaum wahrnimmt, das aber vielleicht viel besser zu ihm passt als die wilde Jackie. Alles geht ihm flöten, diesem Mauser. Die Partyprinzessin, die zu einem Powwow-Festival an der tschechischen Grenze abdüst. Der Vater, der nach dem Mord ebenfalls in diese Richtung untertaucht. Plötzlich steht der 17-Jährige ganz alleine da. Und beschließt, nachzureisen. Wobei ihm nur Edda helfen kann, weil die älter ist und einen Führerschein hat.

Auf dem Indianerfestival sind sie dann irgendwie alle, sein Mädel, dessen Freunde, auch die Polizisten, die eigentlich den Mord aufklären sollten. Und alle sind sie ganz schön high. Auch der bis dahin stets nüchterne Mauser nimmt hier zum ersten Mal eine Droge. Und ab da ist kaum noch auszumachen, was echt ist und was nur halluziniert. „Indianerland“ geht an Grenzen und übersteigt sie auch gern. Der einzige Ruhepol in diesem Film ist ein seltsamer Indianer (Robert Alan Packard), der Mauser, aber nur ihm, regelmäßig erscheint und in dem er wohl ein älteres Abbild seiner selbst sieht. Der Indianer ist freilich auch ein griffiges Sinnbild für Regisseur Çatak: einer, der auf freier Wildbahn neue Pfade erkundet. Und sich dabei instinktsicher zu orientieren weiß. Was für ein Versprechen!

„Es war einmal Indianerland“ D 2017, 97 Min., ab 12 J., R: Ilker Çatak, D: Leonard Scheicher,
Emilia Schüle, Clemens Schick,
täglich im 3001, Abaton;
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