Hildesheim.

Kürzlich legte Alexander Jorde noch einmal nach. Der junge Pflegeauszubildende gibt keine Ruhe. Und lässt kaum eine Gelegenheit aus, um auf sein Anliegen aufmerksam zu machen: den Pflegenotstand in Deutschland. „Es geht nicht an, dass wir es in einem reichen Land wie Deutschland nicht schaffen, die Pflege von Menschen in Krankenhäusern und Altenheimen würdig zu gestalten“, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung. Seine Art zu reden hat nichts Zögerliches, und für sein Alter wirkt er sehr entschieden. Problem erkannt, analysiert, und jetzt muss halt was geändert werden.

Immer mehr wird der 21-Jährige zum Gesicht eines Berufsstandes, dessen Probleme zwar immer bekannt waren, aber für die sich so offen und laut bisher kaum jemand eingesetzt hat. Erst vor ein paar Tagen bei seinem Auftritt in der Talksendung „Hart, aber fair“ in der ARD konnten die Zuschauer wieder einmal über den eloquenten, sicheren und manchmal auch rotzigen Auftritt Jordes staunen.

Jorde ist gerade scheinbar überall, im Radio und im Fernsehen. Bei Facebook bekommt er viel Zuspruch von Kollegen, aber auch von Angehörigen von Pflegebedürftigen. „Leute wie dich braucht das Land!!!!“, schreibt Lari Beth, und Ronald Wolfram hofft: „Wenn ich so weit bin, Pflege zu bedürfen, möchte ich sie gern von dir bekommen.“

Es ist, als ob viele Menschen auf einen wie ihn gewartet hätten. Einen, der den Mund aufmacht und so ganz anders ist, als man es den jungen Menschen in Deutschland so gern attestiert. Engagiert, politisch, kämpferisch.

Jorde, der nach seinem Abitur mit der Note 1,9 bei der Marine diente, macht seit einem Jahr in Hildesheim eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger. Und dieses eine Jahr reichte aus, um sein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden empfindlich zu stören. Und keine Geringere als Bundeskanzlerin Angela Merkel war die Erste, die das zu spüren bekam. Knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl konfrontierte er die Kanzlerin mit seinen Erfahrungen als Pfleger in der Sendung „ARD-Wahlarena“.

Zum Mut gehört auch, die Kollegen zu kritisieren

Mutig ergriff er das Wort. Sagte: „Im Artikel 1 des Grundgesetzes steht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ich erlebe im Krankenhaus und im Altenheim tagtäglich, dass diese Würde tausendfach verletzt wird. Ich finde, dieser Zustand ist nicht haltbar.“ Angela Merkel nickte zustimmend. Verständnisvoll. Doch das reichte Jorde nicht. Er ging sie direkt an. „Sie sind seit zwölf Jahren in der Verantwortung und haben in all dieser Zeit nicht viel für die Pflege getan.“ Er prangerte an, dass die Pfleger überlastet seien und dass Menschen, die dieses Land nach dem Krieg aufgebaut hätten, stundenlang in ihren Ausscheidungen liegen müssten und Merkel keine Maßnahmen ergriffen habe, um dies zu ändern. Es war dieser Abend des 11. September 2017, der Jorde zum TV- und Internetstar werden ließ, zum Sprecher einer Branche.

Aber auch zum neuen Gesicht seiner Generation. Auch deshalb ist er sicherlich als Talkgast so beliebt, bei „Markus Lanz“ im ZDF war er jüngst ebenfalls. Dabei unterscheidet er sich sonst kaum von seinen Altersgenossen. In seiner Freizeit macht er gern Sport und genießt die Freiheit in seiner ersten eigenen Wohnung.

Danach gefragt, woher eigentlich dieser Mut bei ihm komme, sogar Angela Merkel, die ja als mächtigste Frau der Welt gilt, öffentlich zu einer Diskussion herauszufordern, antwortet er: „Ich habe tatsächlich keine Angst vor Autoritäten, das war schon in der Schule so. Außerdem sind Politiker auch nur Bürger, die von Bürgern gewählt wurden.“ Und so eine Gelegenheit wie in der Wahlarena, die gebe es eben nur einmal, sagt er. Kritik an seinen Kollegen übt er ebenfalls. „Wir engagieren und organisieren uns zu wenig. Kaum einer von uns ist in der Gewerkschaft. Und würden wir mal streiken und nur noch eine Notversorgung sichern, wäre der Effekt sicher enorm.“

Ob ihn die viele Aufmerksamkeit nach seinen Auftritten denn gestresst habe? „Am Anfang schon, ich habe am Tag vor ‚Hart, aber fair‘ eine Klausur geschrieben und danach auch.“ Aber für die Sache, und das ist bei ihm keine Floskel, lohne sich der Einsatz. „Denn wenn die Politik nicht bald handelt, dann wird es brenzlig.“

Seine Mutter ist Krankenschwester. Und Angela Merkel mehr als sein halbes Leben an der Macht. Die Kanzlerin erklärte schließlich im Wahlkampf das Pflegethema zur Chefsache. Alexander Jorde ist nun äußerst gespannt, was von diesem Vorsatz bleibt. Denn: „Früher oder später betrifft uns das Thema alle.“ Er wird weiter dranbleiben.