Gewohnt sezierend zeigt Michael Haneke in seinem Drama „Happy End“ eine Unternehmer-Dynastie, deren Stern sinkt

Gleich zu Beginn stirbt ein Hamster. Eine Zwölfjährige filmt mit ihrem Handy erst ihre depressive Mutter, dann ihr Haustier, dem sie die Arznei der Mutter ins Futter gibt und dann beobachtet, wie es im Käfig eingeht. Der tote Hamster ist ein Anfangsschock, der die Richtung vorgibt, die dieser Film nimmt.

Michael Haneke ist berühmt dafür, mit kühlem Blick auf die Abgründe des menschlichen Wesens zu blicken, da, wo sie am allerabgründigsten sind. Seine Filme sind, von „Funny Games“ bis „Das weiße Band“, allesamt kinematografische Meisterwerke, keine Frage, trotzdem oft nur schwer zu ertragen. Obwohl oder gerade weil sie so lange nachwirken.

Alles wird hier unter den Teppich gekehrt. Alle versagen im Miteinander

Nie aber hat der Österreicher seine Arbeitsweise so klar offengelegt wie am Anfang von „Happy End“. Die ersten Bilder sind Handy-Aufnahmen, sie nehmen nur das mittlere Drittel der Leinwand ein. Und so, wie Haneke mit kühler Distanz durch seine Kamera blickt, so tut es hier eine Zwölfjährige mit ihren Mitteln. Dass in der nächsten Einstellung auch die Mutter des Mädchens mit einer Vergiftung darniederliegt, lässt nichts Gutes ahnen. Dann erst weitet sich die Leinwand zur vollen Breite. Und zeigt erst einmal Bilder einer Überwachungskamera, von einer Baustelle, in der eine Mauer einstürzt und ein Dixi-Klo mitreißt, in dem, wie man bald erfahren wird, ein Bauarbeiter sitzt. Auch das wieder so ein Schockmoment.

Haneke reiht erst mal fragmentarisch Episoden aneinander, deren Sinnzusammenhang sich der Zuschauer selbst zusammenpuzzeln darf. Die Zwölfjährige, Eve (eine Entdeckung: Fantine Harduin), muss, nachdem ihre Mutter ins Krankenhaus kommt, aus dem sonnigen Süden in den verhangenen Norden ziehen, zu ihrem Vater (Mathieu Kassovitz) und seiner neuen Frau, in ein riesiges Haus, in dem auch der grantige, weil gebrechliche Großvater (Jean-Louis Trintignant) wohnt, die kontrollwütige Tante (Isabelle Huppert), die dessen Bauunternehmen als Patriarchin fortführt, und deren unfähiger Sohn (Franz Roginski), der für den Unfall verantwortlich ist, aber den Bauskandal vertuschen will.

Wir sehen mit den großen Augen der Zwölfjährigen auf diese Sippschaft namens Laurent, die sich nicht viel zu sagen, aber umso mehr voreinander zu verbergen hat. Alles wird hier unter den Teppich gekehrt. Alle versagen hier im Miteinander. Die einzig menschliche Regung in der Familie ist wohl die, dass der Großvater einst seine Frau mit einem Kissen erstickt hat, um sie von ihrem langen Leiden zu erlösen. Nun fordert der Lebensmüde das Gleiche auch für sich ein. Vergebens. Aber der Selbstmordversuch scheint das einzige Kommunikationsmittel innerhalb dieser Familie zu sein.

Betont sachlich wie stets seziert Michael Haneke seine Figuren wie ein Wissenschaftler Insekten. Aber noch nie ist dabei die Wirtschaft und der Kapitalismus so deutlich mit in den Fokus geraten. Eigentlich hat der Regisseur mit „Happy End“ einen Chabrol-Film gedreht.

Claude Chabrol war stets der große Entlarver und Entzauberer der Großbourgeoisie, und Haneke führt das nun auf seine Weise fort. Er zeigt diese Unternehmensdynastie, die noch gemeinsam in einem hochherrschaftlichen Haus an einer großen Tafel diniert, auch wenn ihr Imperium in Zeiten von Globalisierung und Strukturwandel längst bröckelt.

Man darf nun spekulieren, ob da der Untergang Europas beschworen wird

Die Geschichte ist in Calais angesiedelt, wo man am Strand noch die alten Bunker des Zweiten Weltkrieges sieht, aber auf den Straßen auch die Flüchtlinge aus Afrika, die hier gestrandet sind. Und man darf nun spekulieren, ob mit den Laurents der Untergang Europas, ja des ganzen Abendlandes beschworen werden soll. Ob sie einfach an sich selber und ihrer Unfähigkeit zur Empathie zugrunde gehen. Oder ob das eine mit dem anderen unmittelbar zusammenhängt.

Manchmal stellt Haneke seine Kamera weit weg von seinen Figuren und beobachtet sie von der anderen Straßenseite aus, um die Distanz nicht nur zwischen, sondern auch zu ihnen zu verdeutlichen. Einmal immerhin zeigt jemand doch Emotion, die kleine Eve, die im Auto ihres Vaters anfängt zu weinen. Der Vater guckt erst nur, als er dann doch noch fragt, was sie denn habe, wischt sie sich schon die Tränen aus den Augen und wehrt ab, es sei schon vorbei. Das ist kein so vordergründiger Schock wie der Hamster oder das Dixi-Klo, aber einer, der noch schmerzlicher ist: Weil das Mädchen mit dieser Verhärtung, der Unfähigkeit, Gefühle einzugestehen, angekommen ist in dieser Familie, weil es damit erst „dazugehört“.

Ein typischer Haneke also. Was auch dadurch unterstrichen wird, dass einmal mehr seine Dauermuse Isabelle Huppert eine jener frostig-frustrierten Frauen spielt, auf die sie spezialisiert ist, aber auch Jean-Louis Trintignant den gebrochenen Alten aus Hanekes vorherigem Film „Liebe“ fortführt. Und doch ist alles ein bisschen anders, weil sich in diesen Haneke ein ganz neuer, bei ihm völlig unbekannter Ton einschleicht. Man traut sich kaum, es Komik zu nennen. Galgenhumor würde es wohl deutlicher treffen. Und doch ist es der erste Haneke, bei dem so etwas wie Lachen als Möglichkeitsform überhaupt denkbar ist. Man glaube nun aber nicht, dass der Mann auf seine alten Tage milde wird. Und auch das Happy End, das uns im Titel versprochen wird, ist natürlich keines, sondern nimmt ganz im dürrenmattschen Sinne die schlimmstmögliche Wendung.

„Happy End“ F/D/AT 2017, 107 Min., ab 12 J.,
R: Michael Haneke, D: Isabelle Huppert, Toby Jones, Franz Rogowski, tägl. im Abaton (OmU), Blankeneser, Holi, Koralle; www.x-verleih.de/filme/happy-end