Hamburg . Moderne Assistenzsysteme leisten mehr als der klassische Hausnotruf. Sie schlagen selbstständig Alarm

Es ist der Albtraum von Angehörigen. Die Mutter oder der Vater, zwar pflegebedürftig, aber noch alleinnlebend, stürzt im Bad und bleibt dort über Stunden hilflos liegen. Ein Hausnotruf ist zwar installiert, aber ausgerechnet jetzt liegt das Armband mit dem Alarmknopf auf dem Wohnzimmertisch, unerreichbar entfernt.

Studien zeigen, dass jeder dritte Mensch ab 65 Jahren mindestens einmal im Jahr stürzt. 250.000 Mal kommt es dabei zu einem Knochenbruch. Daher ist es nur gut, wenn sich Senioren ein Hausnotrufsystem installieren lassen. In einem Notfall kann man den Knopf an einem Armband, einer Brosche oder einer Halskette drücken, sofort wird eine Verbindung zur Zentrale hergestellt. Die meldet sich über einen Lautsprecher in der installierten Basisstation. Bittet der Bewohner um Hilfe oder reagiert gar nicht, wird ein Rettungsteam alarmiert. Schon ab Pflegegrad 0 übernimmt die Pflegeversicherung weitgehend die Kosten.

Nur: Was passiert, wenn der Senior den Knopf nach einem besonders schweren Sturz oder einem Schlaganfall nicht mehr drücken kann? Auch für diese Fälle werden immer ausgefeiltere Lösungen entwickelt. So gibt es Hausnotrufsysteme, die mit einem Sturzsensor ausgestattet sind und im Fall des Falles von sich aus Alarm schlagen.

In der Wohnung können auch Sensoren eingebaut werden, die Aktivität messen. Sie registrieren etwa, wenn ein Bewohner überdurchschnittlich lange im Bett oder im Bad bleibt, oder es überhaupt keine Bewegung mehr in den Räumen gibt. Automatische Türöffner, gesteuert mit einem Funksignal, sorgen dafür, dass der Pflegedienst oder im Notfall ein Rettungsteam auch ohne Schlüssel die Wohnung betreten können. Elektronische Trittmatten lösen Alarm aus, wenn sie registrieren, dass der Pflegebedürftige aus dem Bett gefallen sein könnte. Es ist sogar möglich, dass die Notrufzentrale informiert wird, falls der Herd noch eingeschaltet sei sollte, obwohl der Alleinstehende die Wohnung verlassen hat.

„Schon aus demografischen Gründen wird der Bedarf an solchen technischen Assistenzsystemen in den kommenden Jahren weiter steigen“, pro­gnostiziert Robert Spanheimer, Referent beim Digitalverband Bitkom. In der Tat wird Deutschland immer älter und damit auch pflegebedürftiger. 2060 werden in Deutschland rund neun Millionen Menschen leben, die über 90 Jahre alt sind. In Hamburg, wo 2025 jeder vierte Bewohner älter sein wird als 60 Jahre, kommt noch eine Besonderheit hinzu. Man altert überwiegend allein, mehr als 50 Prozent leben in Ein-Personen-Haushalten. Zudem zeigen Umfragen, dass die weitaus meisten betagten Menschen so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben möchten.

Spanheimer ist überzeugt, dass Notrufsysteme nur ein Baustein sein können: „Assistenzsysteme leisten schon jetzt viel mehr.“ So können Sensoren an einer Tablettenbox registrieren, ob Medikamente zur regulären Zeit eingenommen wurden. Tabletcomputer erlauben Videotelefonate mit Ärzten, wichtige Werte wie der Blutdruck oder der Blutzucker können per Datenautobahn in die Praxis übermittelt werden.

Ein entsprechendes Modellprojekt entsteht gerade in Eimsbüttel. Die Techniker-Krankenkasse und das Albertinen-Haus entwickeln mit Unterstützung der Bundesregierung das System „Paul“, die Abkürzung steht für Persönlicher Assistent für unterstütztes Leben. Die Projektpartner, unter ihnen weitere Krankenkassen sowie die Johanniter-Unfall-Hilfe, wollen 1000 Senioren an der Schwelle zur Pflegebedürftigkeit bewegen, sich kostenlos „Paul“ installieren zu lassen. Das System besteht aus einem einfach zu bedienenden Tabletcomputer, Trittmatten sowie Bewegungssensoren. „Paul“ meldet sich etwa, wenn um 8.15 Uhr keine Aktivität festzustellen ist, obwohl der Senior normalerweise spätestens um 8 Uhr aufsteht. Per Druck auf das Tablet kann der Bewohner signalisieren, dass alles in Ordnung ist, andernfalls kommt ein Rettungsteam. Über „Paul“ können die Senioren zudem Lebensmittel bestellen, die ein angeschlossener Händler dann in die Wohnung liefert. Inklusive sind auch Mailprogramme sowie Skype.

Wann in den ersten Wohnungen in Eimsbüttel das System installiert wird, ist noch offen. Denn die Hürden sind hoch, vor allem in Sachen Datensicherheit. Die „Paul“-Entwickler setzen auf ein dezentrales System, die Daten werden nur auf kleinen Rechnern in den Wohnungen gespeichert.

Auch Pflegeheime setzen zunehmend auf Hightech. Das Hamburger Start-up Retrobrain hat für Heime ein Videospiel entwickelt, wo Bewohner nur mit Verlagerung ihres Körpers ein virtuelles Auto steuern können.

Nähere Informationen zum Projekt
„Paul“ im Internet unter: www.albertinen.de/
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