Judi Dench agiert im Historiendrama „Victoria & Abdul“ als verhärmte Monarchin oscarreif

Spielfilme über die britischen Royals besitzen ihren eigenen Reiz. Wie sieht es aus hinter den geschützten Palastmauern, wie tickt eine oft genug dysfunktionale Familie, die eigentlich kein Privatleben kennt und von der jeder Zuschauer ein anderes Bild hat? Da ist der Grat zwischen großem Drama und tränenseliger Soap-Opera manchmal ganz schmal.

Für die Darsteller bilden die Royals-Filme eine Herausforderung, die sich lohnen kann: Helen Mirren gewann im Jahr 2006 für die Rolle von Elizabeth II. in Stephen Frears’ „Die Queen“ einen Oscar, Colin Firth gelang das als stotternder George VI. in „The King’s Speech“ 2010.

Man darf also gespannt sein, ob Judi Dench (82) die nächste Oscar-Königin sein wird. Ihre Darstellung der alternden Queen Victoria in Stephen Frears’ neuem Film „Victoria & Abdul“ ist beeindruckend. Die große britische Charakterdarstellerin zieht alle Register ihres Könnens und hat den Mut, eine betagte, verhärmte und kranke Regentin zu verkörpern, die wenige Jahre vor ihrem Tod im Jahr 1901 noch einmal neuen Lebensmut schöpft.

Zu Beginn ist sie eine Monarchin, die man zum Regieren tragen muss. Zwei kräftige Hofdamen sind nötig, um die enorm korpulente Victoria morgens im Bett aufzurichten. Da trompetet ein Sekretär ihr schon die ewig gleichen öden Termine ins Ohr. Die seit Jahrzehnten verwitwete Queen ist einsam, übergewichtig und gemütskrank. Der graue englische Himmel lichtet sich erst, als Victoria bei einem Festbankett den jungen indischen Bediensteten Abdul Karim (Ali Fazal) kennenlernt. Die beiden freunden sich an, verbringen viel Zeit miteinander.

Der Muslim Abdul weiht Victoria in die Geheimnisse des Korans ein, gibt ihr Sprachunterricht und erfreut die eigensinnige Frau mit seiner sympathischen Unbekümmertheit. Der Hofstaat tobt vor Missgunst und Neid, Thronfolger Bertie (Eddie Izzard) ist entsetzt. Aber Victoria hält an Abdul fest, auch als herauskommt, dass der es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau nimmt.

Ali Fazal spielt in diesem durchaus humorvollen Film nur die zweite Geige

Respekt für diesen Auftritt: Judi Dench meistert die nicht ganz risikofreie Rolle der grantelnden Monarchin mit Bravour und ohne falsche Untertöne. Ihre Darstellung der verhärmten Queen ist anrührend und hat durchaus Mut zur Hässlichkeit. Wenn die Regentin mit langen grauen Haaren ungeschminkt vor dem Spiegel sitzt, sehen wir eine Frau, die sich in einer sterilen Welt der Rituale nach etwas Liebe und Zuneigung sehnt. Die meint sie beim jungen Inder Abdul zu ­finden. Ali Fazal verkörpert den Mann vom Subkontinent mit Charme und Augenzwinkern. Trotzdem spielt er in diesem durchaus humorvollen Film nur die zweite Geige.

Regisseur Stephen Frears und sein Drehbuchautor Lee Hall („Billy Elliot - I Will Dance“) haben sich um politische Korrektheit bemüht. Mit Abdul kommt noch ein zweiter Inder an den britischen Königshof: Mohammed (Adeel Akhtar) ist das Gegenteil des sonnigen, etwas devoten Abdul. Er prangert die Briten als Imperialisten an, hasst ihr Essen und das grauenhafte Wetter an der Themse und wird doch sein Heimatland nicht wiedersehen. Der renitente, aber loyale Inder weigert sich, bei den Intrigen gegen Abdul mitzumischen, und deshalb wird ihm die Heimreise verweigert.

Geschichtsblinde Monarchenverehrung kann man Stephen Frears also nicht vorwerfen. Und Judi Dench darf sich, wenn sie denn nominiert wird, durchaus Hoffnungen auf ihren zweiten Oscar nach „Shakespeare In Love“ (1998) machen. Damals wurde sie als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet, vielleicht reicht es diesmal für die Hollywood-Krone in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“.

„Victoria & Abdul“ GB 2017, 112 Min., ab 6 J.,
R: Stephen Frears, D: Judi Dench, Ali Fazal; täglich im Abaton (OmU), Cinemaxx Dammtor, Holi, Koralle, Passage, UCI Mundsburg/Wandsbek, Zeise; www.victoria-and-abdul.de