Berlin. Rechtspopulistische AfD wird drittstärkste Kraft im Bundestag. Die Union von Bundeskanzlerin Angela Merkel und die SPD von Kanzlerkandidat Martin Schulz müssen historisch schlechte Ergebnisse hinnehmen. Die FDP von Parteichef Christian Lindner schafft ein Comeback. Kommt jetzt eine Jamaika-Koalition?

Die Befürchtungen haben sich bewahrheitet: Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik zieht eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag ein – und sorgt damit für schwere Erschütterungen im Parteiensystem.

Die AfD wurde mit rund 13 Prozent auf Anhieb drittstärkste Kraft im neuen Bundestag. Erste Wähler-Analysen zeigen, dass viele Deutsche die Partei aus Protest wählten, etwa wegen der Flüchtlingspolitik. AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland kündigte einen harten Konfrontationskurs an. „Die Bundesregierung, wie immer sie aussieht, kann sich warm anziehen, wir werden sie jagen“, sagte er vor Anhängern in Berlin. „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“

Dramatische Verluste mussten die bisherigen Koalitions-Partner CDU/CSU und SPD hinnehmen. Die Union von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verlor gegenüber 2013 fast neun Punkte und kommt auf rund 33 Prozent – nur bei der ersten Bundestagswahl 1949 war das Ergebnis noch schlechter. Allerdings bleibt die Union deutlich stärkste Fraktion im Parlament und wird aller Voraussicht nach auch die neue Regierung anführen. Merkel steht damit vor ihrer vierten Kanzlerschaft.

Ein Debakel erlebte die SPD von Kanzlerkandidat Martin Schulz. Sie stürzte auf ein seit Gründung der Bundesrepublik nie dagewesenes Rekordtief ab und erzielte nur noch rund 20 Prozent. Schulz sagte, die SPD stehe nicht für eine weitere Große Koalition zur Verfügung. Die SPD werde jetzt als Oppositionsführerin eine klare Alternative zur Regierung aufzeigen. „Wir haben es heute nicht geschafft – aber morgen“, sagte Schulz, der SPD-Vorsitzender bleiben will.

Ein Comeback feierte die FDP von Parteichef Christian Lindner: Sie kam vier Jahre nach ihrem Ausscheiden mit gut zehn Prozent zurück ins Parlament. Auch die Grünen jubelten: Entgegen allen Prognosen verbesserten sie sich auf etwa neun Prozent und liegen damit in etwa gleichauf mit den Linken.

Als wahrscheinliches neues Regierungsbündnis gilt nach der Absage der SPD nun eine schwarz-gelb-grüne Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen. Allerdings dämpften alle Seiten Erwartungen auf eine schnelle Einigung. „Wir werden kein einfacher Partner sein“, sagte die grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. FDP-Chef Lindner sagte, es sei für ihn schwer vorstellbar, in einer Jamaika-Koalition die Ziele seiner Partei durchzusetzen. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), der seit drei Monaten eine Jamaika-Koalition führt, sagte: „Es klappt, mit Grünen und FDP zusammen zu regieren. Aber ich weiß auch, dass Bündnisse auf Landesebene etwas anderes sind als auf Bundesebene.“ Es sei deshalb noch zu früh, der Bundespartei eine Empfehlung zu geben.

Das Erstarken der AfD geht nach einer ARD-Analyse vor allem zulasten der Union. Mehr als eine Million Wähler seien von CDU und CSU zur AfD gewandert, die SPD habe rund 470.000 Wähler an die Rechten verloren, die Linke 400.000. Die meisten Stimmen habe die AfD aber von bisherigen Nichtwählern erhalten. Die Wahlbeteiligung stieg um etwa drei Punkte auf rund 75 Prozent. Laut infratest dimap gaben 67 Prozent der abgewanderten Unions-Wähler an, Merkel habe in der Flüchtlingskrise die Interessen der deutschen Bevölkerung vernachlässigt.

CSU-Chef Horst Seehofer sagte, die Union habe eine „offene Flanke“ auf der rechten Seite gehabt. Diese müsse nun geschlossen werden.

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