Washington.

Weil sie ohne Gefahr für Leib und Leben die wirklich dramatischen Szenen nie zeigen können, behelfen sich TV-Reporter in den USA bei Wirbelstürmen bevorzugt mit Randerscheinungen: um 90 Grad gebogene Palmen, von Böen umgelegte Verkehrsschilder, abgerissene Fassadenstücke, menschenleere Häuserschluchten. Als Hurrikan „Irma“ gestern früh mit Windgeschwindigkeiten über 200 Stundenkilometer den Südzipfel Floridas in den feuchten Schwitzkasten nahm, waren die Szenen ähnlich – und doch anders.

In Ölzeug vor wasserverschlierten Kameras aufgebaute Berichterstatter wie Mike Seidel vom „Weather Channel“ drohten von tosenden Winden und steigenden Wassermassen umgerissen zu werden. Dabei hatte „Irma“ noch gar nicht richtig angefangen.

Laut Meteorologen wird der stärkste Hurrikan in der Region seit über 50 Jahren, der schon mehrere karibische Inseln teilweise verwüstet und fast 30 Todesopfer gefordert hatte, erst im Laufe der kommenden Tage seine volle Zerstörungskraft entfalten. Zwischenbilanz am Sonntagabend: Drei Tote bei Verkehrsunfällen, 1,5 Millionen Menschen ohne Strom. In der Boom-Stadt Miami, die streckenweise unter Wasser stand, knickte „Irma“ einen Baukran um. Dort galt eine Ausgangssperre.

Nachdem der Hurrikan über der Inselkette Florida Keys auf Land getroffen war, nahm er die Golfküsten-Orte Fort Myers, Naples, Tampa, St. Petersburg und Clearwater ins Visier. In Tampa erwarteten die Behörden Sturmwellen bis zu vier Meter Höhe.

Neben der allseits beschriebenen Hilfsbereitschaft gab es in der Katastrophenzone auch Hoffnungsschimmer. In Miamis Stadtteil „Little Haiti“ gebar eine junge Frau mit telefonischer Hilfe einen Sohn. Der Arzt konnte wegen des Sturms nicht ausrücken.

Hunderte glauben, den Sturm aussitzen zu können

Der Sunshine-State Florida, der über sechs Millionen seiner rund 20 Millionen Einwohner zur Evakuierung aufgerufen hat, rechnet laut Rick Scott mit dem Schlimmsten. Inklusive einer dreistelligen Milliarden-Quittung. Der Gouverneur: „Wer nicht geflohen ist, dem können wir vorläufig nicht helfen.“ Trotz der auch von Präsident Donald Trump unterstützten Aufrufe der Behörden, dem Sturm weiträumig aus dem Weg zu gehen, harrten Hunderte in der Gefahrenzone aus – in dem Glauben, „Irma“ einfach aussitzen zu können. Leute wie John Henderson. Der 67-Jährige hat 1992 „Andrew“ überlebt, den bislang schwersten Hurrikan in Florida, der über 60 Menschenleben forderte. Auch „Katrina“ 2005 in Louisiana hat dem pensionierten Lkw-Fahrer nicht viel anhaben können, der heute in der Mitte der Florida Keys, in Marathon, lebt. „Ich habe Wasser-Vorräte, Benzin und genug zu essen. Ich bleibe hier“, sagte der weißbärtige Mann.

Die Katastrophenschutzbehörde Fema stellt sich auf einen wochenlangen humanitären Einsatz ein, wenn das Ausmaß der Schäden feststeht. Bisher haben sich 130.000 Floridianer in den rund 500 zur Verfügung stehenden Notunterkünften einquartiert. Händeringend gesucht wurden Krankenschwestern und Betreuer für Alte und Kranke, die in der schwülen Hitze besonders zu kämpfen haben.

„Irma“ macht an den Grenzen Floridas nicht halt. Flughäfen bis ins nördliche gelegene Savannah (Georgia) wurden vorsorglich geschlossen. Auch in Alabama und South Carolina sind die Gouverneure im Alarmzustand. Dort sollen noch bis Ende der Woche die Ausläufer des Sturms zu spüren sein.