Berlin.

„Hallo, mein kleiner Bruder.“ Vier Worte, die Christel Ehrich eine halbe Ewigkeit nicht gesagt hat. Die ihr aber gleich auf der Zunge liegen, als sie den betagten Mann begrüßt, der ein Leben lang nach seiner Familie gesucht hat und nun auf einmal vor ihr steht. Nichts als ein Kinderfoto hatte sie all die Jahre von ihm, aber die Ahnung, dass es ihn irgendwo noch gibt, den kleinen Günter.

Das Wiedersehen war im Frühjahr, mehr als 72 Jahre, nachdem sich die beiden Geschwister in den Wirren des Kriegsendes im ostpreußischen Memel verloren hatten. An diesem Dienstag waren sie zusammen in Berlin, um ihre Geschichte zu erzählen, die auch deshalb am Ende gut ausgegangen ist, weil das Rote Kreuz mehr als 70 Jahre nach Kriegsende noch immer Menschen, die ihre Familien verloren haben, beim Suchen hilft.

Die 79-Jährige Schwester lebt heute in Mecklenburg, ihr Bruder Günter ist fünf Jahre jünger, er hat sein Leben in Sachsen verbracht. Und immer wieder vergeblich nach seinen familiären Wurzeln gesucht – bis er 2013 schließlich herausfand, warum ihm niemand helfen konnte: Er hieß ursprünglich gar nicht Günter Peleiski, wie es in seinem Pass stand. Er hieß Pelekies. Die Behörden hatten seinen Namen geändert.

Was war passiert? Als die Rote Armee 1944 näherrückte, verließ die siebenjährige Christel Pelekies zusammen mit der Pflegefamilie, bei der sie untergebracht war, Memel in Richtung Westen. Ihr zweijähriger Bruder Günter lebte da ebenfalls nicht mehr bei der leiblichen Mutter, sondern in einem Kinderheim. Christel kam nach Mecklenburg, Günter dagegen kam im Januar 1945 mit einem Kindertransport ins Erzgebirge. Dort nahm ihn eine Pflegefamilie auf. „Ich war ein Mensch ohne Wurzeln“, sagt er heute. Doch er gab die Suche nach seiner Familie nie auf.

Als die Sache mit dem Namen geklärt war, ging es auf einmal recht schnell: „Da kam ein Brief vom Roten Kreuz, dass ein Günter Pelekies nach mir sucht“, erinnert sich Christel Ehrich. Sie telefonieren, sie treffen sich. „Jetzt kenne ich meine Wurzeln“, sagt der Bruder.