Der Actionfilm „Atomic Blonde“ bietet eine starke Heldin, ist aber eine Spur zu brutal

Diese Frau braucht keine Waffen. Als Agentin des britischen MI6 nutzt Char­lize Theron im Kampf gegen ihre durchweg männlichen Gegner schon mal einen Korkenzieher. Und wenn gar nichts anderes zur Hand ist, zieht sie sich eben ihr Stiletto vom Fuß. Jahrhunderte lang zwang der männliche Gusto die Frauen, auf hohen Hacken zu laufen, jetzt setzen sie sich genau damit zur Wehr: „Atomic Blonde“ ist eine echte Kampferklärung. Und eigentlich müsste man sich freuen über diesen Film. Endlich mal Action mit einer Frau in der Hauptrolle.

Charlize Theron hat lange für dieses Projekt gekämpft, das sie auch mitentwickelt hat. Schon in „Mad Max: Fury Road“ und „Fast & Furious 8“ hat sie sich zuletzt im Action-Genre erprobt. Da aber waren wie üblich Männer die Helden. Hier nun ist alles auf sie zugeschnitten. Monatelang hat sie dafür intensiv trainiert, wie hart, das sieht man in jeder Einstellung.

Ihre Top-Agentin Lorraine Brough­ton ist nichts anderes als ein weiblicher Bond. Der, nein eben: die genauso viel Trümmer hinterlässt, wo immer sie auftaucht. Die sich zwischendurch auch jede Menge Sex gönnt, dabei noch weiter geht als Mister Bond und sich auch mit dem eigenen Geschlecht verlustiert. Der große Unterschied aber: Während die Herren des Genres mit immer noch größeren Wummen spielen müssen, werden Waffen hier höchstens gezückt, aber gleich wieder weggeworfen. Es geht fast ausschließlich um physischen Nahkampf.

Die weibliche als die ehrlichere Action: Das hätten wir an dieser Stelle gern geschrieben. Allein: In ihrem fast schon missionarischen Drang, es den Männern zu zeigen, wird Theron zu einer Kampfmaschine wie Sly Stallone als Rambo. Die Gewaltexzesse werden sogar noch detaillierter ins Bild gesetzt als üblich, und wiederholt spritzt Blut auf die Kamera. Und das soll ein feministischer Ansatz sein?

Eigentlich müsste man sich freuen über diesen Film. Denn diese Hollywoodproduktion spielt in Berlin, in den letzten Tagen des Mauerfalls, in West und Ost. Europa steht vor einem historischen Umbruch, aber – das ist die große Ironie dieses Films – keiner der Geheimdienste vor Ort scheint mitzukriegen, wie das Volk auf die Straße geht und sich gegen sein Regime erhebt. Alle jagen stattdessen einer ominösen Liste mit Agenten-Identitäten nach, die sie für essenziell halten.

Man muss den Film dringend im Original sehen, weil Theron viel Deutsch reden muss. Man mag es aber auch wieder nicht, weil auch die kleinsten ost- wie westdeutschen Nebenrollen nicht mit hiesigen Schauspielern besetzt wurden und daher mit fürchterlichem Akzent radebrechen. Lediglich Til Schweiger darf in einer obskuren Schlüsselrolle glänzen.

Und dann die Musik! Nicht zufällig trägt die Theron eine Perücke wie Blondie, die Pop-Ikone. Und Deutschland in den 80ern, da kann man doch, haben sich die Macher gedacht, dauernd Neue Deutsche Welle spielen. Nur war NDW leider Anfang und nicht Ende der 80er und somit nicht der Soundtrack der Wende.

Nichts stimmt also so wirklich an diesem Film, der immer eine Spur zu laut, eine Spur zu brutal ist. Vielleicht hätte Frau Theron einfach den Mut aufbringen müssen, auch die Regie konsequent einer Frau anzutragen. Dass das auch bei Action funktioniert, konnte man bei „Wonder Woman“ studieren. Wahrscheinlich aber wollte Frau Theron einfach nur beweisen, dass sie der bessere Kerl ist.

„Atomic Blonde“ USA 2017, 115 Min., ab 16 J.,
R: David Leitch, D: Charlize Theron, James McAvoy, John Goodman, Sofia Boutella, Til Schweiger, täglich im Cinemaxx Dammtor/Harburg/Wandsbek, Hansa, Savoy, UCI Mundsburg/Othmarschen/Wandsbek; www.atomicblonde-film.de