CasamiccIola.

„Vorsicht, Vorsicht“, sagt eine Männerstimme. Eine andere ruft ermunternd „Bravo“. Dann ist der kleine Pasquale draußen, geborgen aus den Trümmern seines Zuhauses, im Dunkel der Nacht. Er wird von Arm zu Arm weitergereicht, so zeigt es ein Video der Feuerwehr. Ein Moment der Erleichterung für die Rettungskräfte nach dem Erdbeben von Ischia. Der Jubel der Männer klingt fast nach Weinen, als sie das sieben Monate alte Baby seiner Mutter übergeben können. Dann müssen sie weiterarbeiten – Pasquales Brüder sind noch verschüttet.

Das Beben am Montagabend, fast auf den Tag ein Jahr nach den verheerenden Erschütterungen in Mittelitalien, trifft vor allem den Ort Casamicciola, ein Thermalbad im Norden der Insel. Die Stärke des ersten Stoßes gegen 21 Uhr wird mit 4,0 angegeben – eigentlich nicht besonders viel. Doch mit tödlichen Folgen: Zwei Frauen sterben – eine wird von den Trümmern einer Kirche erschlagen, eine andere tot unter dem Schutt ihres Hauses gefunden. 52 Verletzte werden gemeldet. Etwa 2600 Menschen sind dem Zivilschutz zufolge nun obdachlos. Wohnhäuser stürzen in sich zusammen, zwischen anscheinend unbeschädigten Nachbarhäusern. Geologen kritisieren das immer noch mangelnde Erdbebenmanagement in Italien.

Viele Touristen verlassen Ischia verängstigt noch in der Nacht, zusätzliche Fähren werden bereitgestellt. Nicht die ganze Insel ist betroffen – im Süden etwa, wo Kanzlerin Angela Merkel gerne Urlaub macht, war vom Beben nichts zu spüren. Die Insel liegt in der Nähe der Phlegräischen Felder, die zu den weltweit wenigen Dutzend sogenannter Supervulkane zählen. Dass das jetzige Beben mit dem „Supervulkan“ zu tun habe, hält der Seismologe Frederik Tilmann vom Geoforschungszentrum GFZ in Potsdam allerdings für weniger wahrscheinlich. Man könne auch nicht sagen, ob dies ein Vorbote für ein schlimmeres Beben sein könnte.

14 Stunden nach dem ersten Erdstoß bergen die Helfer in Casamicciola einen von Pasquales Brüdern, den siebenjährigen Mattias. Auch er lebt. Sie graben sich weiter in den Trümmerberg – dorthin, wo der dritte Sohn der Familie, der elfjährige Ciro, feststeckt. Die Bilder werden im Internet live übertragen. Mit Schlagbohrern und Sägen, vor allem aber mit bloßen Händen arbeiten die Rettungskräfte sich voran.

„Atme, atme“, versucht eine Frau den Jungen zu beruhigen. „Ciro, hör zu, hör zu. Du hast das ganz toll gemacht. Mach deinen Mund zu.“ Der Trümmerstaub verdirbt die Luft. Schweres Atmen. Die Männer ziehen orangefarbene Bretter, Möbelreste aus dem Kinderzimmer, aus dem Loch. Und sie reichen Wasser nach unten. Ihr Einsatz wird belohnt: Jubel und Applaus, große Erleichterung, als sie schließlich auch Ciro aus den Trümmern ziehen. 16 Stunden lag er darunter. Er hatte, als die Erde bebte, seinen kleinen Bruder mit unter ein Bett gezogen – und ihm und sich damit das Leben gerettet.

Experten sehen die Verantwortung für die schweren Folgen eines mäßig starken Erdstoßes bei Politik und Behörden: „Erschütternd, dass jemand durch ein Beben der Stärke vier stirbt“, sagte Francesco Peduto, Präsident des Nationalen Geologenrats, der Zeitung „La Repubblica“. Ein Jahr nach den Erdbeben in Mittelitalien sei viel geredet, aber nichts getan worden, um die Sicherheit zu verbessern. Egidio Grasso, Präsident des Verbandes der Geologen der Region Kampanien, ist sicher: „Die Zerstörungen, Evakuierungen und Opfer sind den verfallenden, illegalen und ohne jegliche seismische Tests errichteten Gebäuden zuzuschreiben.“

Fast ein Jahr nach dem großen Beben von Amatrice

Am morgigen Donnerstag ist es auf den Tag genau ein Jahr her, seit die Erde im Grenzgebiet der Regionen Latium, Umbrien und den Marken zu beben begann. Damals wurden ganze Orte verwüstet. Amatrice steht symbolisch für die Katastrophe, bei der fast 300 Menschen starben. Die Überlebenden harren in Behelfshäusern aus, in Amatrice herrscht Dauernotstand.