Thomas Arslan strapaziert im Drama „Helle Nächte“ die schweigsame Ästhetik der Filme der Berliner Schule

Was bedeutet es, ein Vater zu sein? Genauer: ein abwesender Vater? Diese Frage steht im Zentrum dieses Films, in zweifacher Spiegelung. Der Vater von Michael (Georg Friedrich) ist gestorben. Seine letzten Jahre hat er einsam in einem kleinen Haus in Norwegen verbracht. Michael, der als Bauingenieur mit seiner Freundin in Berlin lebt, will zur Beerdigung fahren und den Nachlass durch­sehen. Er nimmt seinen eigenen Sohn mit, den 14-jährigen Luis (Tristan Göbel, bekannt aus Fatih Akins „Tschick“), zu dem er seinerseits seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr hat. Es ist, in vielen Hinsichten, eine Reise in die Fremde.

Die Filme der Berliner Schule, zu der man auch Regisseur Thomas Arslan zählen muss, haben seit den 90er-Jahren viele Kritiker für sich eingenommen. Die Werke von Arslan, Christian Petzold („Barbara“, 2012), Benjamin Heisenberg („Der Räuber“, 2011) und anderer teilen eine Ästhetik der Sprachlosigkeit und eine Vorliebe für alltägliche Situationen, in denen ungelöste Konflikte, unausgesprochene Vorwürfe, gescheiterte Lebenspläne zum Vorschein kommen. Ein Paar, das am Tisch sitzt und schweigt, kann hier oft mehr von sich erzählen als im fließenden Gespräch. Das Rauschen einer Baumreihe beschwört den Fortgang des Lebens, vor dem sich die Menschen wie Zwerge bewegen: mit zwergenhaften Chancen, zwergenhaften Wünschen und zwergenhaften Perspektiven.

So ist es auch in diesem schweig- und langsamen Film. Michael sitzt mit seiner Frau am Tisch, es gibt nichts zu sagen, und man fragt sich, warum sich die beiden überhaupt in einem Raum aufhalten. Im Hintergrund irgendeine Industrieanlage, vielleicht am Westhafen in Frankfurt am Main.

Danach: Michael und sein Sohn im Auto, die Landschaft zieht vorbei, keiner spricht. Was gäbe es auch zu sagen? Dem Vater dämmert, dass er das Leben seines Kindes verpasst hat. Das Kind hat sich damit arrangiert und versteht die plötzliche Zuwendung nicht. Ist es nicht längst zu spät? Ist es nur ein Aufflackern, ein Strohfeuer? Schwer symbolisch brennt irgendwo eine Hütte nieder.

Wo wenig gesprochen wird, übernehmen die Bilder die Deutungshoheit. Die steinigen Böden, auf denen Vater und Sohn spazieren gehen: Sind sie nicht auch wieder so ein Sinnbild? Und die Autofahrt in den Nebel einer abgelegenen Landstraße: Erzählt sie nicht auch von all den Unklarheiten in der Beziehung dieser beiden Menschen?

Starke, emotional komplexe Momente wechseln ab mit dem Verdacht, dass sich das ästhetische Arsenal der Berliner Schule langsam erschöpft hat. Wir haben sie schon gesehen, diese Gestik des Scheiterns, und wir haben sie schon gehört, die Versatzstücke unmöglicher Kommunikation. Menschliche Beziehungen können stagnieren. Filme sollten es nicht.

„Helle Nächte“ D/NOR 2017, 86 Min., o. A.,
R: Thomas Arslan, D: Georg Friedrich, Tristan Göbel, Marie Leuenberger, täglich im 3001, Abaton; www.helle-naechte.de