Dessau.

Die junge Chinesin hatte ein Ziel vor Augen: Sie wollte Architektin werden. Ihre Eltern ermöglichten es ihrem einzigen Kind. Sie sparten sogar für einen Auslandsaufenthalt. Jung und voller Träume kam Yangjie Li nach Dessau, in die legendäre Bauhaus-Stadt. Hier endete ihr Leben am 11. Mai 2016. Sie wurde grausam vergewaltigt und ermordet.

Es ist ganz still im voll besetzten Saal 118 des Landgerichts Dessau-Roßlau, als die Vorsitzende Richterin Uda Schmidt an diesem Freitagmorgen das Urteil verkündet: lebenslange Freiheitsstrafe für Sebastian F. wegen Vergewaltigung und Mord. Besondere Schwere der Schuld. Seine mitangeklagte Ex-Partnerin Xenia I. wird nach dem Jugendstrafrecht zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, wegen sexueller Nötigung in besonders schwerem Fall. An die Eltern des Opfers sollen die Angeklagten insgesamt 60.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Leiche lag hinter Konifere

Die beiden 21-Jährigen sitzen nach außen unberührt neben ihren Pflichtverteidigern. Aber gleichgültig wirken sie nicht, sie scheinen der Richterin genau zuzuhören. Schmidt spricht von einem „unfassbaren Verbrechen“, bevor sie zunächst das Bild einer verheerenden Beziehung zeichnet.

Das Ziel von Sebastian F. war es demnach, seine sexuellen Vorlieben auszuleben. Schon als Kind hatte er ein gestörtes Sozialverhalten, war in der Kinderpsychiatrie, wo man ihm nicht helfen konnte. Er ist ohne Ausbildung, lebte von Hartz IV. Emotional instabil, narzisstisch, beschreibt ihn das Gericht. Dominant und gefühlskalt.

Anders Xenia I., die von erheblichen Selbstzweifeln und Verlustängsten geplagt sei. Unangenehmes blende sie vollkommen aus. Als Kind sei sie von ihrem Stiefvater missbraucht worden. Sie habe nichts anderes gelernt, als sich gewalttätigen Männern unterzuordnen. Ihr Freund Sebastian habe sie beschimpft, bedroht und vergewaltigt. Ihr Ziel: auf keinen Fall verlassen zu werden. „Sie hielt die Fassade aufrecht, wie es häufig in solchen Beziehungen ist“, sagt die Vorsitzende Richterin, die den Tathergang skizziert: Yangjie Li kommt am 11. Mai abends vom Joggen. Sie ist schon fast zu Hause in einer hübschen Dessauer Straße, als sie die junge Frau sieht, die ihr signalisiert, dass sie Hilfe bräuchte. Es ist Xenia I., vor die Tür geschickt von ihrem Freund. Er will Sex zu dritt, drängelt seit Langem. Sie sollte es möglich machen, darauf hatten sie sich geeinigt. Eine Überwachungskamera zeichnet die Szene auf: Li blickt sich um, aber dann folgt sie ins Haus.

Was dann passiert, sieht das Gericht nach der Spurenauswertung als erwiesen an. Die 25-jährige Chinesin wehrt sich mit aller Kraft, aber die reicht nicht aus gegen den 1,95-Meter-Mann, der hinter der Tür lauert. Er verschleppt sie in die leer stehende Wohnung im Haus im ersten Stock, es ist die, über der das Pärchen mit Xenia I.s zwei Kindern lebt. Er vergewaltigt Li mehrfach. Seine Freundin bringt er dazu, sich an den Misshandlungen zu beteiligen.

Danach aber, so die Überzeugung des Gerichts, geht Xenia I. in die gemeinsame Wohnung hoch und duscht. Sie kehrt noch einmal zurück und stellt auf Verlangen ihres Freundes dem Opfer mithilfe des Google-Übersetzers einige Fragen. Zu diesem Zeitpunkt hat Li noch keine der schweren Verletzungen, an denen sie später sterben wird. Das Gericht ist davon überzeugt: Xenia I. konnte nicht ahnen, dass ihr Freund das Opfer töten wollte. Doch das habe er gewollt. Er habe die Vergewaltigung verdecken wollen. Die unvorstellbare Gewaltorgie, die sich dann in I.s Abwesenheit abgespielt haben muss, schildert die Vorsitzende Richterin in Details, die die rund 60 Prozessbeobachter fassungslos macht: Er würgte sie minutenlang, versuchte, sie in einem Eimer zu ertränken, schlug ihren Kopf mit Wucht auf den Boden.

Ob die Chinesin schon tot war, als der Angeklagte sie in eine Mülltonne steckte, war nicht mehr festzustellen. Ihre Leiche fand man zwei Tage später unter einer Konifere.

Sebastian F. wurde nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt, Xenia I. nach Jugendstrafrecht. Begründung des Gerichts: Seine Entwicklung sei abgeschlossen. Bei ihr gebe es noch Entwicklungspotenzial. Xenia I. hat sich aus dem Gefängnis heraus von F. getrennt. Dass bei ihm eine besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde, könne zwar bei den Eltern des Opfers vielleicht zu einer „gewissen Genugtuung“ führen. „Aber das ändert nichts an ihrem Schmerz“, so ihr Anwalt Sven Peitzner.