Rio De Janeiro.

Die Bilder an der Copacabana irritieren: An Rio de Janeiros berühmtem Strand, der wie kein anderer für Lebenslust steht, patrouillieren neben Touristen in Shorts und Badelatschen bis an die Zähne bewaffnete Soldaten in Kampfmontur. Brasiliens Präsident Michel Temer hat kurz zuvor die Militarisierung der Zwölf-Millionen-Metropole angeordnet. 8500 Soldaten und 1500 Polizisten sollen Rio bis Ende 2018 wieder sicherer machen.

Zu sehr ist in den vergangenen Wochen die Gewaltkriminalität in der Olympiastadt von 2016 angestiegen. 20 Morde täglich werden dort im Schnitt verübt. Hauptursache ist, dass die Drogenbanden, die auf Namen wie „Comando Vermelho“, das „Rote Kommando“, hören, wieder die Hoheit in den Hunderten von Favelas, den Armenvierteln, übernommen haben. Nach der Fußball-WM 2014 und den Olympischen Spielen 2016 ist die Gewalt wieder auf das Niveau von 2009 gestiegen.

Verteidigungsminister Raul Jungmann nannte die Lage in Rio einen „Kriminalitätskrebs“, der sich immer weiter ausbreite. „Wir haben hier 800 Favelas, in denen die Menschen praktisch in einem Ausnahmezustand leben.“ Der Tourismus brach ein, Hotels stehen mindestens zur Hälfte leer. Die explosive Zunahme der Morde, da sind sich die Experten einig, liegt an einem Phänomen, unter dem ganz Lateinamerika leidet: Die organisierte Kriminalität fordert den Staat heraus und ist am Ende meist siegreich. Mit anderen Worten: Die Kartelle, die sich vor allem über den wachsenden Drogenhandel und immer öfter auch über andere Delikte finanzieren, regieren ganze Regionen und haben den Staat als Ordnungsmacht verdrängt. Vielerorts ist der Staat zu schwach, und die Sicherheitskräfte sind überfordert. Auch auf Brasilien trifft zu, was besonders für Mexiko und die Länder Zentralamerika gilt: Die Polizei ist oft korrupt und steckt mit den Mafia-Banden unter einer Decke.

Angetrieben werden die Auseinandersetzungen dabei vor allem durch den globalen Drogenmarkt. Es geht besonders um Kokain. Die Droge kommt ausschließlich aus Südamerika. Der Thinktank Instituto Igarapé mit Sitz in Rio veröffentlichte jüngst Erhebungen über die gefährlichsten Städte der Welt.

Diese Städte führen wie eine Linie entlang der Schmuggelrouten ins Hauptabnehmerland für südamerikanische Drogen, die USA: San Salvador, Hauptstadt von El Salvador, ist mit 137 Morden pro 100.000 Einwohnern und Jahr an der Spitze. Auf dem zweiten Platz dann der mexikanische Ferienort Acapulco, gefolgt von dem Industriezentrum San Pedro Sula in Honduras.

Besserung ist nirgendwo in Sicht. Nach jahrelangem Rückgang hat die Anbaufläche für die Koka-Pflanze in Südamerika zuletzt um 30 Prozent zugelegt, wie der Weltdrogenbericht der Vereinten Nationen feststellt. Rund 250 Millionen Menschen konsumieren weltweit Drogen – in Europa wird pro Jahr Kokain für 5,7 Milliarden Euro abgesetzt. Mit steigender Tendenz.

56.000 Menschen wurden 2016 in Brasilien getötet

Aber die Kämpfe um und gegen das weiße Pulver werden in Lateinamerika ausgetragen. Und so wundert es auch nicht, dass vergangenes Jahr 43 der weltweit 50 tödlichsten Städte in Lateinamerika lagen. Acht der zehn gefährlichsten Länder liegen zwischen dem Rio Bravo und Patagonien. El Salvador, Honduras, Guatemala, Mexiko, Brasilien und Kolumbien stechen bei Morden gemessen an der Einwohnerzahl besonders gewalttätig heraus. Viele Städte Lateinamerikas sind inzwischen No-Go-Areas.

Aber auch in Ländern, die fernab der Schmuggelrouten in die USA liegen, ist die Gewalt hoch. Das gilt vor allem für Brasilien, zweitgrößtes Kokain-Konsumentenland der Welt. Hier ist besonders Rio de Janeiro mit seinem großen Markt für das weiße Pulver bei Groß-Kartellen und Drogenbanden hart umkämpft. Insgesamt werden in Brasilien 2016 mehr als 56.000 Menschen getötet – als absolute Zahl weltweiter Rekord.