Seoul/Berlin.

Die junge Frau isst eine süße Waffel mit Eis. Sie sitzt am Tisch, spricht über Umzug und Trennung von ihrem Freund, nebenbei vertilgt sie ihr Essen. So weit nichts Ungewöhnliches. Aber: Sie filmt sich dabei, es ist ein Video, zu sehen bei Youtube. „Malwanne“ nennt sich die Youtuberin, die diese kleine Szene unter dem Titel „Wie schmeckt’s?“ veröffentlicht hat. Im wahren Leben heißt die junge Deutsche Vanessa. Sie hat das Mikrofon ganz nah am Mund. „Die Schmatz- und Schluckgeräusche waren so laut“, beschwert sich eine Zuschauerin in den Kommentaren unter dem Video. Ein anderer: „Mit einem Schmatzfilter könntest du Millionen verdienen.“ Ein dritter aber weiß Bescheid und informiert die Kritiker: „Es ist ein ganz normales Mokbang-Video; wer die Essgeräusche nicht mag, kann ja etwas anderes schauen.“

Essen vor der Kamera? Ein Trend, den es in Südkorea schon seit einigen Jahren gibt. Jetzt hat er es nach Deutschland geschafft. „Mokbang“ ist eine Abkürzung aus den beiden koreanischen Verben „mokda“, das „essen“ bedeutet, und „bangsong“, das sich am besten mit „senden“ oder „übertragen“ übersetzen lässt. Es beschreibt das Phänomen, live sein Essen im Internet zu posten. Zum Teil schalten sich in Südkorea bei besonders beliebten Stars Hunderttausende gleichzeitig zu und kommentieren und chatten – oder essen einfach selbst etwas beim Zuschauen. Sie essen allein, aber das tun sie gemeinsam.

Zahl der Single-Haushalte steigt in Korea stetig

Eun-Jeung Lee, Professorin für Korea-Studien an der Freien Universität Berlin, begründet das im Stellenwert von Essen allgemein in Korea. „Das kann man schon in koreanischen Reiseführern erkennen“, sagt sie, „da sind immer mindestens 50 Seiten über Restaurants enthalten.“ Koreanern sei es eben sehr wichtig, wo sie zum Beispiel die beste Haxe bekommen in München. Das Nationalgericht Kimchi – in Chili eingelegter Weißkohl – wird in Korea jährlich im Herbst gemeinsam in der Familie zubereitet. Wie in Deutschland auch ist das aber gar nicht mehr so leicht. „Vor allem in großen Städten wie Seoul leben sehr viele Menschen allein“, sagt Lee.

Gerade hat eine Statistik in Südkorea ergeben, dass es mehr Single-Haushalte im Land gibt als jede andere Wohnform. Rund 34 Prozent der Einwohner des Landes leben allein. Das ist ein Trend, der sich weltweit wiederfindet in Industrieländern. In Deutschland sind es laut Statistischem Bundesamt sogar 37 Prozent der Haushalte, die von Singles bewohnt werden. Insgesamt gibt es hierzulande 20 Millionen Alleinstehende. Und einer aktuellen Studie zufolge fühlen sich 32 Prozent der Deutschen zumindest manchmal einsam. Doch während Mokbang in Südkorea eben besonders deshalb populär ist, weil sich Singles dadurch die Zweisamkeit nach Hause holen, spricht es in Deutschland vor allem jugendliche Zuschauer an. Die deutsche Youtuberin Malwanne probiert gern Speisen aus TV-Serien oder Filmen aus. Ein Video heißt zum Beispiel „Wie schmeckt der Kuchen aus American Pie?“. Mit einigen ihrer Clips erreicht sie so weit über eine Million Zuschauer.

Mokbang konnte aber auch gerade in Südkorea entstehen, weil es an alte Traditionen anknüpft. „Bis ins 19. Jahrhundert“, sagt Professorin Eun-Jeung Lee, „war es besonders üblich für die Oberschicht, dass man allein an einem Tisch isst.“ Gewissermaßen ist Mokbang also auch eine Rückkehr auf alte koreanische Traditionen des Fürsichseins.

Doch wer sich Videos der Mokbang-Stars anschaut, hat nicht den Eindruck von „edler“ Nahrungsaufnahme. Der koreanische Mokbang-Star Keemi schafft schon einmal 20 Geflügelteile in einer Sendung und ist danach noch lange nicht satt. Der US-Amerikaner Nikocado Avocado zeigt sich beim Verschlingen von mehreren Fast-Food-Tacos. Und erst kürzlich saß die Youtuberin Malwanne mit zwei Freundinnen zusammen und aß Mexikanisch vor der Kamera. Die drei Mädchen sprechen über Haarverlängerung, Muttermale und Brustvergrößerung – mehr als 150.000 Zuschauer haben zugeschaut und kommentierten. Und eine sagt: „Ich könnte niemandem für 40 Mi­nuten beim Essen zuschauen – nur euch.“