Braunschweig/Goslar.

In Braunschweig rechneten sie mit dem Schlimmsten. Eine „Flutwelle“ erwarteten viele, am Donnerstagabend sollte das Flüsschen Oker, aufgebläht durch den Regen der letzten Tage, die Stadt überschwemmen. Die Angst war so groß, dass sich die Behörden genötigt sahen, vor Panikmache zu warnen. „Eigentlich geht es uns ja gut“, beschwichtigte André Völzke von der Berufsfeuerwehr an einer Sammelstelle, wo sich Bürger mit Sandsäcken versorgen konnten, um Kellerschächte, Türen und Fenster abzudichten. In Hildesheim, so Völzke, „ist es viel schlimmer“. In der 60 Kilometer von Braunschweig entfernten Stadt nämlich gab es am Donnerstag zahlreiche Wassereinbrüche, an mindestens einer Stelle riss ein Deich. Das Hochwasser sorgt in der Mitte Deutschlands weiter für Chaos und Zerstörung.

Besonders übel traf es das Harz-Dorf Harsleben (Sachsen-Anhalt). „Der Ort läuft voll“, warnte Kai-Uwe Lohse, Leiter der Einsatzstelle. Ein Bach, der die Gemeinde durchfließt, war so stark angeschwollen, dass Rettungskräfte im Schlauchboot durch die Straßen fahren mussten, um nach Verletzten Ausschau zu halten.

Es sind die schlimmsten Unwetter seit Jahrzehnten, die viele Gegenden in den letzten Tagen heimgesucht haben. Am Mittwoch war vor allem der Harz betroffen, am Donnerstag dann brachten Flüsse die Regenmassen nach Norden und verlagerten das Hochwasserproblem in dichter besiedelte Regionen Niedersachsens.

Ein Ende ist auch vorerst nicht in Sicht: In der Nacht auf Sonnabend soll die Flut die Großstadt Hannover erreichen. „So ein extremes Hochwasser hatten wir noch nie“, sagte in Rhüden bei Goslar die Friseurin Elke Kleineidam, deren Salon 16 Stunden lang überflutet war. Kleineidam hat schon andere Hochwasser in ihrer Gemeinde miterlebt – doch in diesem Jahr sei das Wetter extrem.

Freibadwetter? Auf absehbare Zeit Fehlanzeige. Ist das noch ein normaler Sommer oder bedeuten die Wassermassen, dass der Klimawandel Deutschland erreicht hat? Der Wetterunternehmer Jörg Kachelmann (59) mahnt zur Besonnenheit. „Die groteske Wahrnehmung bei vielen Menschen im Lande ist, dass es normal wäre, wenn es jetzt wochenlang Sonne und Hitze gäbe“, so Kachelmann. Die Hochwasser und die kalten Temperaturen seien relativ durchschnittlich: Das Tief, das derzeit über Deutschland zieht, sei schlicht eine „unpraktische Wetterlage“.

Das ganze Ausmaß der Überschwemmungsschäden ist noch gar nicht absehbar. Weiterhin wird eine Frau vermisst, von der seit Dienstag jede Spur fehlt. Die 69-Jährige aus dem Touristenort Wernigerode ist womöglich von dem sonst ruhigen Bach Holtemme mitgerissen worden, der direkt neben ihrem Haus entlang fließt. Der Deutsche Bauernverband befürchtet derweil schlimme Ernteausfälle.

Das Wasserbedroht Existenzen

Wo sich die Lage halbwegs normalisiert hat, beginnt das große Aufräumen. Elke Kleineidam etwa, die Inhaberin des Friseursalons im niedersächsischen Rhüden, sieht ihre Existenz zerstört. „Das ist jetzt alles kaputt“, sagte sie mit Blick auf die rissigen Wände ihres Salons. So gut wie alle Schränke im Geschäft sind nach der Flut hinüber. Der Schaden, schätzt sie, dürfte sich auf 7000 bis 10.000 Euro belaufen. Auf den Kosten werde sie wohl sitzen bleiben – eine Elementarschadenversicherung sei in ihrer Gegend wegen des Hochwasserrisikos so teuer, dass sie die Kosten für die Reparaturen gleich selbst übernehmen könne.

Immerhin: Der Deutsche Wetterdienst hob am Donnerstagmorgen alle bestehenden Unwetterwarnungen vor ergiebigem Dauerregen auf. Tief „Alfred“ zieht nach Osten ab. Sommerlich schön wird es in den kommenden Tagen allerdings trotzdem nicht.