Gross Flottbek/Bahrenfeld. Zum Auftakt unserer neuen Reihe Türöffner ermöglicht der Flottbeker Wissenschaftler John Dale einen Ausflug in seine Welt der Teilchen

Lange hat es gedauert, einen passenden Termin zu finden. Denn in diese Forschungstunnel des Deutschen Elektronen-Synchrotrons, kurz Desy, dürfen Auswärtige überhaupt nur hinein, wenn die Anlage längere Zeit nicht läuft. Der dort genutzte Freie-Elektronen-Laser Flash ist allerdings sehr gefragt. Ständig wird er von Wissenschaftlern genutzt. Und so bietet sich als einzige Chance für einen Besuch eine längere Wartung an. Und auch dann geht es nicht einfach so los.

Denn vorher muss jeder Besucher, der sich so weit in die Tiefen des Desy-Forschungsareals wagt, in die Gefahrenlage eingewiesen werden. Schwangere oder Menschen mit einem Herzschrittmacher dürfen überhaupt nicht in die Nähe der Beschleuniger, die mithilfe von Röntgenstrahlung ultrakurze Lichtblitze erzeugen. Aus Sicherheitsgründen muss jeder – egal ob Besucher oder Mitarbeiter – ein Messgerät bei sich tragen. Die Strahlung wird vor und nach dem Tunnelgang überprüft. Zudem gibt es für jeden eine Karte, die den Einlass in den Sperrbereich erst ermöglicht.

John Dale macht es mit seiner personalisierten Chipkarte vor. Die gelbe Gittertür, die aussieht, als könnte sie auch aus einem Gefängnis stammen, öffnet sich und macht den Weg frei in die Desy-Unterwelt. Dicke graue Betonwände hüllen die Aufbauten ein, durch die der Laserstrahl geführt wird. Die Experimentierhalle ist in Neonlicht getaucht. Sie wirkt nüchtern und kahl. Äußerlich lässt sich nur schwer erahnen, dass hier mit kleinsten Teilchen ganz Großes bewirkt werden soll. Genau das wollen Dale und seine Kollegen.

Dale ist Wissenschaftler mit Leib und Seele. Der 34-Jährige promovierte Physiker studierte in Oxford. In seiner Doktorarbeit befasste er sich unter anderem mit Plasma. Das faszinierte ihn. Er wollte mehr lernen, mehr forschen und suchte von sich aus den Kontakt zum Desy. Dort nimmt man bei Weitem nicht jeden. Doch Dale konnte überzeugen und ist nun Mitglied in einem Team aus Forschern, die bereits an der nächsten Generation von Beschleunigern arbeitet: Plasma-Beschleunigern.

Bei dieser relativ neuen Technologie geht es darum, mit einem Laser auf eine Art Plasmawolke zu schießen und durch die damit verursachte Teilchentrennung enorme Energie freizusetzen. So könnte man auf deutlich kürzeren Strecke mehr Power erzeugen. Das würde die Kosten für Beschleuniger signifikant senken. Der Bau des neuesten Super-Lasers XFEL vor den Toren Hamburgs kostete beispielsweise mehr als eine Milliarde Euro. Möglich war der Bau nur, weil sich an der Finanzierung zahlreiche Länder beteiligten. XFEL soll 2017 in den Regelbetrieb gehen. Bei dem Projekt werden Röntgenblitze durch einen 2,1 Kilometer langen Beschleunigertunnel von Hamburg gen Schenefeld geschossen.

Die Dauer dieser Blitze wird mit unter 100 Femtosekunden angegeben. Damit könnten Forscher das Zustandekommen von Molekülen filmen, was völlig neue Einblicke in eine noch unbekannte Welt ermöglicht. Bei einem Plasmabeschleuniger reden die Forscher allerdings schon nicht mehr von Femtosekunden und Molekülen, sondern von Attosekunden und Atomen – was noch unfassbar viel schneller wäre und noch viel tiefere Einblicke ermöglichen würde. „Wenn das funktioniert, könnten wir viel verändern“, sagt Dale. „Die Arbeit, die wir hier leisten, wird anderen in 100 Jahren helfen. Wenn wir das gut machen.“ Mit „das“ ist FlashForward gemeint, wie das Projekt offiziell heißt.

Der Brite liebt seinen Job, der ihm aber auch viel Geduld und Nerven abverlangt. „Ich hätte mit meiner Ausbildung auch zur Bank gehen können und würde heute mehr verdienen – mich aber selber hassen“, erklärt Dale, der seinen Forschungsjob als Lebensstil beschreibt. Gut, dass seine Freundin den teilt. Sie ist ebenfalls Physikerin und lebt in Berlin. Dale wohnt in Groß Flottbek, nahe dem Forschungsgelände. Wenn er denn zu Hause ist. Er reist viel, fährt mit der Bahn regelmäßig zu seiner Freundin nach Berlin. Seine Familie in Großbritannien besucht er ebenfalls häufig.

Dales Chef ist Jens Osterhoff. Der Projektleiter koordiniert die Forschung am FlashForward. Er treibt sie vor allem vom Schreibtisch aus voran, kümmert sich ums Budget und um das 25-köpfige Team. Dessen Mitglieder stammen aus den USA, der Ukraine, Italien, Spanien und China. Dale arbeitet mehr im Labor, testet Komponenten, koordiniert die zentrale Diagnostik und vertritt das Team nach außen, indem er die Erkenntnisse in ein europäisches Forschungsnetzwerk einbringt.

Derzeit wird die neue Anlage im Flash-Tunnel aufgebaut. In den kommenden Tagen sollen erste Experimente mit der Testanlage starten. Die Idee ist es, den bereits vorhandenen Laser zu nutzen und die dort erzeugte Strahlung dann in einem eigenen Strang samt Plasma zu leiten. Das Team um Osterhoff und Dale hofft, dass ihm gelingt, was so noch niemand geschafft hat: den Strahl beziehungsweise die Beschleunigung genau zu kontrollieren und damit den Grundstein für die nächste Beschleunigergeneration zu legen.