„Auch wir Deutschen müssen etwas von unserer liberalen Flüchtlingspolitik aufgeben“, sagt die Grünen-Politikerin Eka von Kalben aus Schleswig Holstein im Gespräch mit Gymnasiasten

Eka von Kalben, ehemalige Landesvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen und derzeitige Fraktionsvorsitzende im Landtag von Schleswig-Holstein, wurde von Schülern der Klassen 11 E a/c des Elsensee-Gymnasiums in Quickborn (Kreis Pinnebrg) über den Vormarsch der rechtspopulistischen Parteien befragt.

Gibt es Ihrer Meinung nach einen Rechtsruck in Europa?

Eka von Kalben: Ja, das glaube ich tatsächlich. Rechts im Sinne von: ,Wir wollen nicht mehr so viel europäische Gemeinschaft!‘ und ,Wir wollen nicht so viele Migranten!‘.

Wie lässt sich dieser Rechtsruck darstellen?

Momentan kommt es zu einer Spaltung von vielen Ländern, in denen es sowohl Menschen gibt, die gegen, als auch Menschen, die für eine europäische Gemeinschaft sind. In vielen EU-Staaten sind die Menschen gegen Europa und somit auch die rechtspopulistischen Parteien stärker geworden, sodass es nun überall rechte Kräfte gibt. Ein Beweis für diesen Anstieg ist der Brexit. Die Entscheidung, ob Großbritannien aus der Europäischen Union aussteigt, war zwar sehr knapp, jedoch lässt sich das Ergebnis dieser Wahl ganz klar durch die Angst der Leute vor Migration begründen.

Schätzen Sie den Rechtsruck in Europa eher als einen vorübergehenden Trend oder als eine ernst zu nehmende Lage ein?

Meiner Meinung nach ist das eine ernst einzuschätzende Lage. Die Art, wie man über Migranten redet, hat sich ein bisschen enthemmt. Viele äußern jetzt Dinge, die sie vorher nicht gesagt haben, weil sie nicht gerne als Rassist bezeichnet werden wollten, und gehen mittlerweile unvorsichtig mit ihren Worten um. Dies kann schnell zu einer Gefahr werden. Ich glaube daher nicht, dass es sich um einen kurzfristigen Trend handelt, jedoch ist die Situation nicht hoffnungslos.

Ist die Flüchtlingskrise der Hauptgrund für das Erstarken rechter Parteien?

Auf jeden Fall sind die Themen Migration und Flüchtlingskrise der Hauptgrund, allerdings gab es immer schon Kritik am Euro und der EU, wie zum Beispiel bei der Griechenlandkrise, weil viele dagegen waren, dass so viel Geld dorthin verschickt wurde, um den Bewohnern zu helfen.

Was sind die Auslöser, die dafür sorgen, dass der Rechtsruck zu- bzw. abnimmt?

Die Lage hat sich damals zugespitzt, als sehr viele Flüchtlinge 2015 gleichzeitig nach Deutschland migriert sind. Es gibt außerdem eine Zuspitzung durch den Terrorismus, denn viele verbinden diesen automatisch mit Flüchtlingen, wobei ich diese Ansicht nicht teile. Im Moment beobachte ich allerdings ein Umdenken in mehreren EU-Staaten, die mittlerweile erkennen, dass ein Zusammenhalt notwendig ist.

Können Sie Punkte nennen, in denen Sie den Rechtspopulismus für berechtigt ­halten?

Wenn man Rechtspopulismus als Rassismus und nationalistisches Denken ansieht, dann halte ich diesen nie für berechtigt, allerdings kann ich die Kritik an der EU, die viele damit verknüpfen, schon nachvollziehen. In der Tat gibt es Dinge, die man verbessern kann. Trotzdem rechtfertigt das niemals, andere Bevölkerungsgruppen für etwas verantwortlich zu machen, das sie nicht verursacht haben. Wenn man etwas schlecht findet, dann muss man versuchen etwas zu ändern, denn man kann immer etwas bewegen.

Welche Gefahren sehen Sie innerhalb Europas im zunehmenden rechten Schwung?

Ich sehe die Gefahr, dass wir unsere freien Grenzen verlieren und dass die EU sich auflöst, was ich als sehr überzeugte Europäerin überaus tragisch finden würde. Und natürlich ist ein weiteres Problem, dass die Migranten, die in der EU leben wollen, nicht mehr so willkommen geheißen werden, wie es sich gehört.

Besteht eine Gefahr im Hinblick auf die Annäherung von rechtsgeprägten Politikern?

Natürlich besteht bei Vernetzungen solcher islam- und demokratiefeindlichen Parteien eine gewisse Gefahr und stellt für die Menschen, die ein demokratisches und humanes Europa haben wollen, eine Hürde dar.

Wie schätzen Sie den Machterfolg der
rechten Parteien für die Zukunft ein?

Es kommt ganz darauf an, wie Europa sich jetzt einbringen kann und ob sie kluge Politik führen, in der sie Flüchtlinge, wie sie es nötig haben, aufnehmen und innerhalb Europas verteilen, aber auch die Grenzen sichern. Ich glaube, wenn die EU sich jetzt besinnt, müssen auch wir Deutschen etwas von unserer liberalen Flüchtlingspolitik aufgeben, damit Europa zusammenbleibt.

Warum sollte denn jetzt so stark an der EU festgehalten werden?

Mein Hauptgrund ist, dass ich die EU für das beste Friedensprojekt halte. Es gibt ja kaum eine Phase in der Geschichte, in der so lange Frieden herrschte, und dies sollte auch für die folgenden Generationen garantiert werden. Daher muss man sich zusammentun, um gemeinsam stark zu sein, weswegen ich 100 Prozent für die EU bin.

Das Interview führten Lisa Behrens,
Sophia Clayette, Lilly Paulina Dieckmann,
Hadia Kawiar und Julia Missal