Berlin .

Es war ein bewegender Appell, mit dem sich Peter S. aus Taucha an seine spurlos verschwundene Frau wandte: „Du fehlst mir so unendlich!!! Alles in unserem Haus erinnert an Dich und trägt Deine Handschrift“, schrieb er im Juni bei Facebook. Im April war Jeannette S., eine 55-jährige Lehrerin, von einem Klinikgelände bei Leipzig verschwunden. „Wir alle lieben Dich und hoffen, dass Du Dich bald bei uns meldest und zurückkommst.“ Fast 413.000 Mal wurde der Aufruf geteilt.

Jeder, der in sozialen Netzwerken unterwegs ist, kennt die private Internetsuche nach geliebten Menschen. 14.000 Menschen werden derzeit in Deutschland vermisst, einige davon seit wenigen Tagen, andere seit 30 Jahren; so lange bleibt ein Fahndungsaufruf bestehen. Etwa 50 Prozent der Vermisstenfälle werden innerhalb der ersten Woche aufgeklärt, 80 Prozent sind es nach einem Monat. Nur drei Prozent werden länger als ein Jahr vermisst.

Die meisten tauchen wohlbehalten wieder auf. Der Suchaufruf im Netz – er bleibt. „Es sind viele veraltete Aufrufe aktiv in der Verteilung“, glaubt Marion Waade, Vorsitzende von Anuas e.V., einer Hilfsorganisation für Angehörige von Vermissten. Oft hat die Polizei auch die Ermittlungen aus gutem Grund eingestellt: Geistig gesunde Erwachsene dürfen sich aus ihrem Umfeld absetzen, wohin sie wollen. „Wenn eine Person wohlauf gefunden wird, aber keinen Kontakt zu den Hinterlassenen möchte, ist die Ermittlung abgeschlossen“, erklärt Nina Lehmann vom Bundeskriminalamt. Nicht nur deswegen rät das BKA von der privaten Vermisstensuche bei Facebook ab. „Die Polizei weiß am besten, wie man Hinweise auswertet“, so Lehmann. „Private Suchaktionen können etwa bei verdeckten Ermittlungen hinderlich sein. Manche Postings sind Fälschungen, andere werden missbraucht, um falsche Fährten zu legen und Hetze zu betreiben.“

Auch Datenschutzbedenken meldet das BKA. Denn gerade sensible Personen können sich durch die privaten Informationen blamiert fühlen – was eine Rückkehr erschwert. Zudem rufe die Hilfebedürftigkeit der Suchenden oft Scharlatane und Straftäter auf den Plan, sagt Psychologin Waade. Sie hat Verständnis dafür, dass Angehörige die Ermittlungen der Polizei oft als schleppend empfinden. Trotzdem empfiehlt auch sie, eine Facebook-Suche immer mit der Polizei abzustimmen.

Zu viele Hinweise können Ermittler „erschlagen“

Auch Peter S. zögerte, bis klar war, dass seine Frau sobald nicht wiederkommen würde: „Ein früher Beitrag auf Facebook wäre sicherlich nicht förderlich gewesen für ihren Ruf als Lehrerin.“ Eine Onlinesuche sei zeitgleich zur öffentlichen Fahndung der Polizei erfolgt, sagt er. Den offenen Brief habe er dann jedoch ohne Abstimmung geschrieben.

Eine beherzte Suche auf eigene Faust startete auch der Vater der Studentin Malina (20), die im März in Regensburg verschwunden war. Er richtete eine Facebook-Seite dafür ein, sammelte Spenden für eine Belohnung, trat bei „Stern TV“ auf.

„Ob dieser Rummel für die polizeiliche Arbeit hilfreich war, ist zumindest fraglich“, sagte der Münchner Polizist Andreas Pilz in der Zeitung „Tz“. „Hinweise können einen auch erschlagen.“ Die Leiche wurde schließlich am Donauufer entdeckt, es war ein Unfall.

Auch nach dem Aufruf von Peter S. meldeten sich viele Menschen, die seine Frau gesichtet haben wollen. Doch die Ermittlungen liefen allesamt ins Leere. Expertin Waade ist kein Fall bekannt, in dem ein privater Aufruf zu einem Erfolg geführt hätte. Schließlich aber erfüllt ein solches Posting eine andere Funktion. Der Angehörige hat in einer quälenden Situation, in der er zur Passivität verdammt ist, das Gefühl, eine Möglichkeit auszuschöpfen. Die Kommentare spenden Trost, geben das Empfinden, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Peter S. sagt: „Trotz des Misserfolges würde ich es genauso wieder machen.“