Ken Dukens minimalistischer Thriller „Berlin Falling“ ist ein beklemmendes, aktuelles und wagemutiges Regiedebüt

Der Mann ist dunkel gekleidet, wirkt aber eigentlich ganz sympathisch. Also warum ihn nicht ein Stück im Auto mitnehmen? Ein Problemfall scheint ja eher der Fahrer selbst zu sein: Er hat, das wird in den ersten Filmminuten klar, ein Alkohol- und Familienproblem. Er hat es auch mit seiner Tochter vermasselt.

Aber dann entdeckt Frank (Ken Duken) im Rucksack des Mitfahrers eine Bombe. Bis dahin sind noch keine 20 Minuten vergangen, und plötzlich entsteht noch mal ein völlig neuer Film. So zufällig, wie das aussah, hat Andreas (Tom Waschliha) seinen Fahrer an der Tankstelle nicht angesprochen. Er will nach Berlin, wo er einen Anschlag plant. Und er erpresst Frank, ihn dahin zu chauffieren. Andernfalls werden es seine Angehörigen büßen. Das zeigt ein Handy-Foto von Franks Ex-Frau und Kind.

Ken Duken ist einer der meistbeschäftigten deutschen Schauspieler, nicht nur im hiesigen Kino („Das Adlon“), sondern auch international („Inglourious Basterds“). Mit 38 Jahren hat er sich nun einen lang gehegten Traum erfüllt und legt sein Regiedebüt vor, für das er auch das Drehbuch schrieb und die Produktion übernahm. Man hätte sich wahrlich einen weniger schwierigen Stoff für einen Erstling wählen können. Aber schon als Schauspieler agiert Duken experimentierfreudig und wagemutig. Das beweist er nun auch als Regisseur.

„Berlin Falling“ beginnt als konzen­triertes Kammerspiel, das meist im Auto und klaustrophobisch engen Räumen spielt. Und ist vor allem ein schauspielerisches Duell zwischen Duken, der selbst die Hauptrolle spielt, und Tom Waschliha („Game Of Thrones“). Aber er lebt natürlich von seiner Brisanz: Es ist das erste deutsche Filmdrama, das nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz von einem Attentatsplan auf die Hauptstadt handelt. Auch der Thriller spielt zur Weihnachtszeit.

Da kommen natürlich vertraute Bilder und Ängste wieder hoch. Duken spielt auch damit. Aber er hängt sich nicht sensationsgierig daran. Er entwickelt ein packendes, nervenaufreibendes Drama mit immer neuen, überraschenden Wendungen, wobei mit Erwartungshaltungen gespielt, aber auch klar gebrochen wird.

Der Fremde scheint lange ein Islamist, aber wird da bewusst eine falsche Fährte gestellt? Der Fahrer wiederum erweist sich bereits als traumatisiert, weil er als Soldat im Afghanistan-Krieg zivile Opfer verschuldet hat. Und nun soll er wieder Schuld auf sich laden? Kundus, Islamismus, Rechtsradikalismus, Terror: Das sind viele Reizthemen, und man hätte sich leicht die Finger verbrennen können, sie alle in einen Erstling zu packen.

Aber Duken beweist Fingerspitzengefühl. In seiner bewussten, fast minimalistischen Reduktion gelingt ihm ein hochaktueller, beklemmender, ein wichtiger Film. Und ein rohes Stück Genre-Kino, wie man es im deutschen Film nur sehr selten zu sehen kriegt.

„Berlin Falling“ D 2017, 91 Min., ab 16 J.,
R: Ken Duken, D: Tom Wlaschiha, Ken Duken,
läuft im Studio, UCI Wandsbek;
www.berlinfalling.de