Das Melodram „Ein Chanson für dich“ ist ein liebevoller Blick auf eine tragische, in die Jahre gekommene Schlager-Diva

Der Eurovision Song Contest ist eines der größten Spektakel der Musikbranche, das seit über sechs Dekaden Jahr für Jahr ein Millionenpublikum europaweit vor den Bildschirm bannt. Doch was passiert eigentlich mit all den Sängern, die mal mehr, mal weniger erfolgreich teilgenommen haben, wenn sich niemand mehr für sie interessiert? Der Belgier Bavo Defurne imaginiert sich in seiner märchenhaft-kitschigen Tragikomödie ein solches Leben nach dem Ende des Scheinwerferlichts. Er ist dabei nicht ohne Sinn für Ironie: Schon das Champagnerblubbern des Vorspanns erweist sich als Kopfschmerz­tablette, die den allmorgendlichen Kater in Zaum halten soll.

Lillianes Leben monoton zu nennen wäre untertrieben. Tag für Tag geht sie in die Fabrik, wo sie mit Plastikhäubchen auf dem Kopf Pasteten am Fließband mit Lorbeerblättern und Wacholderbeeren verziert. Nach Schichtende fährt sie mit dem Bus nach Hause und verbringt den Abend mit reichlich Alkohol vor dem Fernseher mit stumpfsinnigen Quizshows und Tierdokus. Selten hat Isabelle Hupperts unergründlich spröder Gesichtsausdruck, den sie zur Perfektion gebracht hat, so zu einer Figur gepasst wie zu dieser in ihrem Alltagstrott gefangenen Frau.

Eines Tages taucht eine Aushilfe auf, der junge Jean (Kévin Azaïs), der in seiner unscheinbaren Kollegin die ehemals gefeierte Schlagersängerin Laura erkennt, die einst beim Grand Prix eine Niederlage gegen ABBA die Karriere kostete. Sie leugnet ihre Vergangenheit erst, doch der sehr viel jüngere Jean, ein Nachwuchsboxer, macht der reifen Lilliane nicht nur den Hof, sondern ermuntert sie auch zu einem Auftritt bei einer Feier in seinem Boxclub. Zögerlich willigt sie ein und blüht dann förmlich auf. Sie holt die alten Roben aus dem Schrank, und plötzlich wird aus der grauen Fabrikmaus wieder die Diva, der alle zujubeln. Und sie verliebt sich in das Bürschchen, lässt sich gar von ihm managen. Und er hat Großes mit ihr vor. Doch der Weg zurück auf die große Bühne erweist sich als steinig, über Auftritte in Altenheimen und auf Volksfesten kommt sie erst nicht hinaus.

Huppert spielt das großartig ambivalent zwischen Stolz und Ernüchterung, hinter großen Gesten steckt immer auch Verletzlichkeit. Furchtlos singt die Charaktermimin die melancholisch-läppischen Schlager mit dünnem Stimmchen selbst. In dieser Widersprüchlichkeit hat sie durchaus Parallelen zu ihrer Rolle in Paul Verhoevens Vergewaltigungsdrama „Elle“, die ihr Anfang des Jahres eine Oscarnominierung bescherte.

Defurne ist dagegen nicht interessiert, die heutige Wirklichkeit authentisch darzustellen, seine Version des Schlagerwettbewerbs ist hochgradig nostalgisch. Sein gefälliger, aber auch vorhersehbarer Film ist ein liebevoller Blick auf eine tragische, in die Jahre gekommene Diva, immer haarscharf vorbei am Rande der Lächerlichkeit, und den Versuch eines Comebacks. Für das ist es, zumindest in Defurnes artifizieller Märchenwelt, nie zu spät.

„Ein Chanson für dich“ B/LU/F 2016, 90 Min., ab 6 J., R: Bavo Defurne, D: Isabelle Huppert,
Kévin Azaïs, täglich im Blankeneser, Holi, Passage; www.einchansonfuerdich.de