Das Drama „Axolotl Overkill“ von Helene Hegemann skizziert eine nervöse Generation

Blickt man heute, sieben Jahre nach seinem Erscheinen, auf die öffentliche Debatte um Helene Hegemanns Roman „Axolotl Roadkill“ zurück, dann wundert man sich, wie wenig sie eigentlich mit dem Buch selbst zu tun hatte – und wie viel mit den Projektionen seiner Leser.

Da trat eine erst 17-jährige Autorin in die Öffentlichkeit, die, so stellten viele jetzt erst verwundert fest, bereits zwei Jahre zuvor mit dem renommierten Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet worden war. Die zudem die Tochter des nicht nur in Berlin bekannten Volksbühnen-Dramaturgen Carl Hegemann ist, der die Familie früh verließ. Und die mit nur 13 Jahren erleben musste, wie ihre Mutter einem Aneurys­ma im Gehirn erlag.

Diese Autorin erzählte nun von einem die Schule schwänzenden Mädchen namens Mifti, das sich im Berlin der Nullerjahre in WG-Küchen, Nachtclubs und den wechselnden Schlafzimmern ihres Liebeslebens herumtreibt, ständig pendelnd zwischen Orientierungslosigkeit, Erfahrungsgier und Verzweiflung.

Der Film feierte Weltpremiere auf dem „Sundance“-Festival

Vorhersehbarerweise war damit der Startschuss gegeben für die übliche Schlüsselroman-Debatte des Literaturbetriebs, der, erkennbar desinteressiert an literarischen Leistungen, in der Fiktion nur einen chiffrierten Wirklichkeitsbericht erkennen wollte und auf die Jagd nach „Stellen“ ging. Zur vollständigen Ablenkung vom Gehalt des Buches führte dann die Entdeckung, dass Hegemann in „Axolotl Roadkill“ einige – man muss sagen: wenige – Passagen verwendete, die nicht von ihr stammten, sondern aus der Feder eines Bloggers namens Airen.

Das passte zu gut zur Freude an der Aufdeckung von Plagiaten in Doktorarbeiten, die seinerzeit ganze Blogs am Leben hielt – die Frage dagegen, ob Literatur nicht ganz andere Rechte auf diesem Feld hat als Werke wissenschaftlichen Anspruchs, tat dem Skandal leider keinen Abbruch mehr.

Vielleicht hat ja nun der Film die Chance, von einer so verzerrten Rezeption verschont zu bleiben. Helene Hegemann hat selbst Regie geführt, und die Vorzeichen sind diesmal ganz andere: Während wir im Kino sehen können, wie die wilde Mifti (Jasna Fritzi Bauer) durch das Volksbühnen-Berlin eines vergangenen Jahrzehnts tobt, werden am Rosa-Luxemburg-Platz gerade die Insignien der Castorf-Ära abgebaut. Die Geschichte wirkt plötzlich wie die erste Flaschenpost aus einer Zeit, der gerade das letzte Abschiedsständchen gesungen wird.

In einem unterkühlten Designbunker wohnt zum Beispiel der kulturschaffende Vater (Bernhard Schütz), der vor der Tochter darüber doziert, dass Terrorismus heutzutage durchaus ein „zeitgemäßer Karrierezweig“ sein könne. Auf den Streichholzbriefchen des Nachtlebens sieht man das berühmte Räuberrad des Theaters. Und nicht zuletzt erinnert die Inszenierung des Films selbst an das, womit Frank Castorf und andere Regisseure die Ästhetik ihres Hauses prägten: Atemlose Szenenfolgen und Themensprünge, die Überwältigung durch Unvorhersehbares (Frau steckt Mann im „Grill Royal“ blitzartig die Zunge in den Hals), die infantile Freude am Derben und Vulgären – alles da, und alles zudem in einer avancierten Videoclip-Bildsprache erzählt, die auf dem „Sundance“-Festival, wo der Film Weltpremiere feierte, viele Kritiker für sich einnehmen konnte.

Das Thema des Films ist freilich nicht in erster Linie die jüngere Theatergeschichte. Es ist das Lebensgefühl einer Generation, die ratlos feststellen muss, dass die Muster der Provokation und der Auflehnung schon in die Ringelpullover der Eltern eingestrickt wurden und sich deshalb schwer zur Identitätsbildung eignen. Wie soll man schon Provokateure provozieren, und will man das überhaupt, und wenn nicht: Was will man dann?

Die Offenheit dieser Frage führt zu einem haltlosen Schweben durch das Leben, begleitet von viel Alkohol, zufälligen Bettgeschichten, überdrehten Schreiereien, freundschaftlichen Glücksmomenten und cool abgefilmten Stadtansichten Berlins. Hierin ist der Film mehr eine Szenenfolge als eine klar durcherzählte Geschichte, die Dramaturgie scheint wie infiziert von der Haltlosigkeit ihrer Akteure. Das funktioniert eine Zeit lang ganz gut, es taucht sogar der titelgebende Axolotl auf, jener Schwanzlurch, der nicht zu altern scheint und damit so sinnfällig zu diesem gegenwartssüchtigen Personal passt. Irgendwann, nach einer Dreiviertelstunde vielleicht, hat man aber ganz gut verstanden, was gesagt werden soll.

Ein Lichtblick dagegen die traumhaften Sequenzen, die davon handeln, wie Mifti ihre verstorbene Mutter vermisst. Hier erlebt der Film seine schönsten, intimsten Momente, hier feiert er sich nicht nur selbst, sondern stellt sich selbst infrage. Man hätte sich das häufiger gewünscht.

„Axolotl Overkill“ D 2017, 94 Min., ab 12 J.,
R: Helene Hegemann, D: Jasna Fritzi Bauer,
Mavie Hörbiger, Laura Tonke, Bernhard Schütz,
täglich im Abaton, Studio, UCI Othmarschen; www.constantin-film.de/kino/axolotl-overkill