Karlsruhe/Berlin.

Für Elisabeth Schmitt war es ein enttäuschender Tag. 40.000 Euro hatte sie gefordert – Schmerzensgeld vom Tüv Rheinland. Es ging um minderwertige Brustimplantate, die Hunderttausenden Frauen auf der ganzen Welt eingesetzt wurden. Doch Schmitt muss auf das Geld verzichten, entschied am Donnnerstag der Bundesgerichtshof (BGH): Der Tüv Rheinland hat sich nichts zuschulden kommen lassen, er haftet nicht.

Schmitt (67), eine Rentnerin aus Ludwigshafen, sieht sich als Vorkämpferin für die mehr als 5000 Frauen in Deutschland, die unter dem Betrug des französischen Herstellers Pip leiden mussten. Das Schmerzensgeld, argumentierte Schmitt, stehe ihr vom Tüv Rheinland zu, da die Kölner Tester den Betrug durch bessere Kontrollen hätten verhindern können.

Vor sieben Jahren kam alles ans Licht. Hunderttausenden Frauen in mehreren Ländern, viele von ihnen Brustkrebspatientinnen, wurden mangelhafte, oft undichte Implantate eingesetzt. Pfusch im ganz großen Stil. Dass der Hersteller der Implantate die Patientinnen betrogen hat, daran besteht kein Zweifel. Über viele Jahre befüllte das französische Unternehmen Poly Implant Prothèse (Pip) Brustimplantate mit nicht zugelassenem Billigsilikon. Dieses Gel, wie Pip es verwendete, wird eigentlich in der Industrie eingesetzt – für den menschlichen Körper war es nie getestet worden. Hinter der Betrugsmasche steckte Jean-Claude Mas, ein früherer Wurstverkäufer. Der Pip-Gründer wurde zu vier Jahren Haft verurteilt.

Elisabeth Schmitt, die sich aus Angst vor einem Tumor Brustgewebe hatte entfernen lassen und daher auf Implantate angewiesen ist, litt nach der OP unter Fieberschüben, Erschöpfung und einer Gürtelrose. Vier Jahre nach dem Eingriff musste sie sich ein zweites Mal operieren lassen, um die gefährlichen Implantate aus Industriesilikon zu ersetzen.

Jean-Claude Mas’ Firma ist längst insolvent. Um dennoch entschädigt zu werden, verklagte Schmitt den Tüv Rheinland. Dessen Rolle war bislang umstritten. Die Organisation sollte Pip auf die Finger schauen: Sensible Medizinprodukte wie Brustimplantate dürfen in der EU nur vertrieben werden, wenn sie das CE-Siegel tragen – als Zeichen dafür, dass sie alle Anforderungen erfüllen. Der Tüv Rheinland ist eine der Stellen, die das Siegel verleihen dürfen. Die Prüfer nehmen in solchen Fällen allerdings nicht das eigentliche Produkt unter die Lupe, sondern die Qualitätssicherung.

Zwischen 1998 und 2008 kamen die Mitarbeiter achtmal zu angekündigten Besichtigungen bei Pip vorbei, ergaben die Untersuchungen. Einen Verdacht, dass etwas nicht stimmte, schöpften sie nie, beteuert der Tüv. Es sei immer jenes Spezialsilikon vorrätig gewesen, mit dem die Kissen ordnungsgemäß gefüllt werden. Tatsächlich, wurde während des Prozesses gegen Jean-Claude Mas öffentlich, wusste der immer Monate im Voraus, wann die Tüv-Prüfer bei ihm auftauchen würden. Bevor der Besuch eintraf, schoben Pip-Mitarbeiter die falschen Silikonkissen in Containern in eine dazu angemietete Halle. Um die Prüfer zu täuschen, wurde vor dem Besuch das zulässige Gel in die Produktionsmaschinen gefüllt.

Den Tüv Rheinlandtrifft keine Schuld

Hätte der Tüv Rheinland genauer hinschauen und auch unangemeldet kon­trollieren müssen? Der Bundesgerichtshof urteilte gestern: Nein. „Eine Pflichtverletzung des Tüv konnten wir nicht feststellen“, sagte der Vorsitzende BGH-Richter Wolfgang Eick.

Die Anwältin der Klägerin, Ruth Schultze-Zeu, die auch zahlreiche weitere Opfer vertritt, sagte zwar: „Ich kämpfe weiter.“ Doch die BGH-Entscheidung ist ein Grundsatzurteil. Die Klagen anderer betroffener Frauen haben nun nur noch geringe Erfolgsaussichten.