Das Drama „Innen Leben“ erzählt mit der Intensität eines Kammerspiels vom Krieg in Syrien

„Vergiss die Welt da draußen, sie zählt nicht mehr“, sagt der alte Mann zu seiner Schwiegertochter, als er sie durch den Vorhang ihrer Wohnung in Damaskus spähen sieht. Draußen ist Krieg, es fallen Bomben, und es wird geschossen. In der Wohnung von Oum Yazan (Hiam Abbass) haben sich hinter geschlossenen Gardinen und mehreren Türbolzen zwei Familien verbarrikadiert: Zu Oum Yazan mit ihrem Schwiegervater, einem kleinen Sohn und zwei Teenietöchtern kommt ein Ehepaar mit Säugling hinzu, dessen Wohnung in den oberen Stockwerken ausgebombt wurde. Und sowohl die Hausangestellte der Yazans als auch der jugendliche Freund einer der Töchter sind dort gestrandet, weil der Weg nach Hause zu gefährlich wurde.

Der belgische Regisseur Philippe Van Leeuw nutzt in „Innen Leben“ das äußerst beschränkte Setting dieser einen Wohnung, um den Zuschauer in seinem bequemen Kinosessel all die Schrecken und Dilemmata des Krieges nachfühlen zu lassen. Und fast ist man überrascht darüber, wie gut ihm das gelingt. Der Film spielt außer zwei kurzen Ausflügen nur in den vier Wänden der allerdings großzügig geschnittenen Wohnung. Die Handlung vollzieht sich an einem einzigen Tag. Aber für Langeweile bleibt keine Zeit. Dazu geht auch die Anspannung von den ersten Momenten an zu sehr unter die Haut.

Als der Mann für Besorgungen das Haus verlässt, erwischt ihn eine Kugel

Am Morgen ist das Ehepaar mit Baby noch relativ guter Dinge. Der Mann erzählt seiner Frau, dass er Pässe und eine Passage nach Europa besorgen konnte. Doch als er das Haus für letzte Besorgungen verlässt, erwischt ihn eine Kugel. Nur die Hausangestellte wird Zeugin des Geschehens. Als sie Oum Yazan davon erzählt, verpflichtet die sie zur Schweigsamkeit. So beginnt ein langer Tag voller unwohler Gefühle. Einerseits versucht Oum Yazan als Matriarchin eine gewisse Normalität aufrechtzuerhalten. Es wird gegessen. Zwischendurch schimpft sie mit einer Tochter, dass sie mit Haarewaschen Wasser vergeudet, und herrscht den Freund an, das Schlafzimmer der Mädchen zu verlassen.

Andererseits aber hat sie ihr Ohr stets nach außen gerichtet, nicht nur um bei Bombeneinschlägen die Familie in sichere Positionen zu weisen, sondern vor allem, um verdächtige Eindringlinge draußen zu halten. Immer wieder klopfen Männer an die Tür, bei denen nicht klar ist, ob sie Freund oder Feind sind.

Umso klarer wird jedoch, wie wehrlos das Häufchen Alter, Frauen und Kinder in solch einer Kriegssituation ist. Diese Wehrlosigkeit stellt sie vor eine schlimme Wahl: Entweder sie geraten alle in Lebensgefahr oder lassen zu, dass eine von ihnen unfreiwillig geopfert wird. Und die Welt draußen zählt eben doch noch, weil man mit den Folgen solcher Entscheidungen dann in ihr weiterleben muss.

„Innen Leben“ B/F/LBN 2017, 85 Min., ab 12 J., R: Philippe Van Leeuw, D: Hiam Abbass, Diamand Abou Abboud, Juliette Navis, Mohsen Abbas,
täglich im 3001 (OmU), Abaton; www.innenleben-film.de