Berlin.

Die Tiere sind weg. Bestes Beispiel: der Feldhamster. Am liebsten lebt der auf dem Kornfeld. Dort findet er reichlich Nahrung, die er sich in seine Hamsterbacken stecken kann. Zwischen den Halmen hat er zudem Deckung vor seinen Feinden. Auch seinen Bau legt er dort an. Nur: Bleibt nach der Ernte nichts stehen, wird alles umgepflügt, hat er nichts mehr. Cricetus cricetus, so der lateinische Name, muss wegziehen.

Es ist nicht lange her, da gab es Abschussprämien für den Hamster, weil er so oft vorkam und ganze Ernten vernichten konnte. Heute gilt er in Deutschland als „vom Aussterben bedroht“. Tiere die das Wort „Feld“ im Namen tragen, haben heute verloren, heißt es unter Biologen. Feldlerche, Feldhase – sie alle leiden.

Ein Drittel der Wildkräuter auf dem Acker sind gefährdet

Das bestätigte am Dienstag Beate Jessel, die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, BfN. Sie meinte: „Diese Entwicklung muss für uns alle alarmierend sein.“ Denn „praktisch alle Tier- und Pflanzengruppen in der Agrarlandschaft sind betroffen.“ Das Ausmaß sei „eklatant“. Jessel beruft sich auf zahlreiche Studien zur Entwicklung der Natur in der Agrarlandschaft, die sie zusammen mit ihren Kollegen im neuen Agrarreport 2017 ausgewertet hat. Demnach stimmt Grundsätzliches nicht mehr. Zwar sind Wölfe zurück und ziehen Kraniche durch die Luft, auffälligen Exoten scheint es gut zu gehen. Intakt ist die Natur darum aber nicht.

Denn Allerweltsarten leiden. „Moderne landwirtschaftliche Produktionsmethoden“ hätten zu einer „kontinuierlichen Abnahme der Artenvielfalt geführt“ steht im Agrarreport. Demnach sind ein Drittel der Ackerwildkrautarten gefährdet. Der Acker-Rittersporn, der einst schon von Weitem kräftig dunkelblau aus den Rändern von Getreideäckern oder auch auf frischen Erdhaufen leuchtete, ist kaum noch zu finden. Und: Der Bestand jeder zweiten Vogelart schrumpft, der des Rebhuhns mit seinem unscheinbarem grau-braunen Federkleid etwa nahm zwischen 1990 und 2015 um 84 Prozent ab. Weiteres Zeichen für weniger Vielfalt: Selbst nach einer langen Fahrt ist die Autoscheibe heute nicht mehr mit toten Tieren zugekleistert wie früher. Die Zahl der Insekten geht zurück.

Sind doch nur Insekten? Bei manchem mögen die Krabbeltiere Unbehagen hervorrufen. Aber einfach auf sie verzichten, das geht nicht. Der Verlust der biologischen Vielfalt ist neben dem Klimawandel das, so sagt Naturschützerin Jessel, „bedeutendste Umweltproblem dieser Zeit“. Allein 41 Prozent der rund 580 Wildbienenarten gelten als gefährdet. Sie sind aber wichtige Bestäuber für eine Vielzahl von Pflanzen, so manche lässt sich nicht ersetzen. Fehlt eine Art, kann es eine Kettenreaktion geben.

Das weiß auch die Politik. Bemühungen, den Naturschutz in der Landwirtschaft besser zu verankern, gibt es längst. Nur, die von der EU über Steuergeld geförderten sogenannten Greening-Maßnahmen hätten „keinen Mehrwert für die biologische Vielfalt“, sagt Jessel. Die Anforderungen seien zu lasch. Regierungen tun sich bislang schwer. Jessel aber sagt, es sei Zeit für eine „Kehrtwende in der Agrarpolitik“.

Derzeit erhalten allein die deutschen Bauern rund 6,3 Milliarden Euro an EU-Agrarsubventionen. Das System soll allerdings im Jahr 2020 reformiert werden. Schon jetzt wird ausgelotet, was sich ändern soll. „Der gesellschaftliche Rechtfertigungsdruck nimmt zu“, meint Jessel – das Gros der Bevölkerung wünsche sich eine naturverträglichere, rücksichtsvollere Landwirtschaft. Dementsprechend müsse das Geld nach dem Motto „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ verteilt werden.

Zehn Höfe beteiligen sich an einem Forschungsprojekt

Das Ideal der Naturschützer: Eine vielfältige, kleinteiliger strukturierte Agrarlandschaft, mit Blühstreifen an den Rändern der Äcker und so fort. In einem groß angelegten Forschungsprojekt der Bundesregierung wird bereits erprobt, wie Naturschützer und Landwirte miteinander versöhnt werden können. Es heißt: „F.R.A.N.Z. – Für Ressourcen, Agrarwirtschaft & Naturschutz mit Zukunft“. Betreut wird es vom Deutschen Bauernverband und der Michael Otto Stiftung für Umweltschutz.

Bundesweit sind zehn Höfe beteiligt. Auf ihren intensiv genutzten Feldern, Wiesen und Weiden soll in den nächsten zehn Jahren herausgefunden werden, was sich für die biologische Vielfalt lohnt und zugleich noch für die Landwirte rechnet.

Zum Beispiel legen die Testbauern für Feldlerchen eine Art Bett im Kornfeld an. Auf den Getreidefeldern bleiben etwa 20 Quadratmeter große Rechtecke kahl. Lerchen verstecken ihre Nester vorzugsweise in Äckern, von den freien Flächen aus können sie ihr Plätzchen zum Brüten suchen und später auch ihre Jungen von dort füttern. Diese geeigneten Landbahnen findet die Lerche in üppig bewachsenen herkömmlichen Feldern nur selten. Derweil gibt es für den Feldhamster bereits ein anderes Rettungsprogramm: Er wird mittlerweile im Heidelberger Zoo nachgezüchtet – und dann wieder ausgewildert.