Berlin.

Heute sollten Sie es langsam angehen lassen. Heute ist ein Tag, um an Blumen zu schnuppern, in den Himmel zu gucken und das Leben zu genießen. Laut Gedenk- und Aktionstagkalender ist der 19. Juni „Weltbummeltag“. Glaubt man diversen unbestätigten Angaben, so geht der World Sauntering Day auf einen US-Amerikaner zurück, der im Jahr 1979 die Idee im „Grand Hotel“ auf Mackinac Island gehabt haben soll. Mehr Details gibt es über den Weltbummeltag nicht. Dennoch wächst seine Bedeutung: Kirchen, Gewerkschaften oder Einkaufscenter nutzen ihn für ihre Zwecke.

Es wird langsam eng im Kalender, für alles und jedes gibt es einen Ehrentag. Diese Woche ist wieder randvoll mit mehr oder weniger sinnvollen Jahrestagen. Morgen ist der internationale Weltflüchtlingstag, den die Vereinten Nationen 2001 ausgerufen haben, gleichzeitig gedenkt Deutschland der Opfer von Flucht und Vertreibung Deutscher aus Mittel- und Osteuropa. Tags drauf, am 21. Juni, wird es wieder heiter, da ist Sommersonnenwende, längster Tag des Jahres. Und nicht nur das: Es ist Internationaler Tag der selbst gemachten Musik, Tag des Schlafes, Tag des Sonnenschutzes, Weltyogatag, Tag der Archäoastronomie, Deutscher Lebensmittel-Allergietag, Tag des Surfens und Geh-Skateboarden-Tag. Nicht zu vergessen: das Ende der Spargelsaison.

Bis Ende des Monats sind es dann noch gut 20 Gedenk- und Aktionstage – bis Ende des Jahres noch mehrere Hundert. Zuständig für die ehrwürdigen Termine ist keine Sammelstelle, keine Kommission und auch keine Behörde, die festlegt, an was gedacht werden darf oder nicht. Neben weltweiten Organisationen sowie Staaten und Kirchen kann jeder Verband, jedes Unternehmen, überhaupt jede Privatperson Aktionstage ausrufen.

Eine gewisse Autorität haben nur die Vereinten Nationen, die weltweit mehr als 100 internationale Gedenktage anerkannt haben (s. Kasten). „Internationale Tage sind wichtig, um die Weltgemeinschaft weiterhin an zentrale Herausforderungen und Chancen für eine nachhaltige Entwicklung unseres Planeten zu erinnern“, sagt Katja Römer von der Unesco. Die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur ist für zwölf Gedenktage zuständig – vom Welttag der Poesie (21. März) über den Weltlehrertag (5. Oktober) bis zum Tag des audiovisuellen Erbes (27. Oktober). Zentral sei dabei nicht die Anzahl der Tage, sagt Römer, sondern dass die Thematisierung von wichtigen Anliegen an diesen Gedenktagen tatsächlich zu Handlungen der Weltgemeinschaft führten.

Auch Kulturwissenschaftlerin und Gedächtnisforscherin Aleida Assmann betont die Relevanz offizieller Gedenktage. Im kollektiven Gedächtnis herrsche Platzmangel, da brauche es Anker, schreibt Assmann in ihrem Buch „Der lange Schatten der Vergangenheit – Erinnerungskultur und Geschichtspolitik“. Gedenktage stehen ihrer Meinung nach für Werte, die der jeweiligen Nation wichtig sind, weil Lehren aus bestimmten historischen Ereignissen gezogen wurden. Wenn eine Nation den Tag der Befreiung von Auschwitz zum Gedenktag erklärt habe, bedeute dies, dass sie sich dazu bekenne, nicht vergessen zu wollen, und die Menschenrechte als das höchstes Gut im Staat anerkennt.

Vereinte Nationen als Ernennungsautorität

Mit all den anderen ausgerufenen Ehrentagen, die um Beachtung für Handtücher, Angeln, Käsekuchen, Feuchtgebiete und Schlaf buhlen, hat das freilich nichts zu tun. Jahrzehntelang war es Sinn und Zweck der Ehrentage, an welt- und menschheitsbewegende Geschehnisse wie Bekämpfung der Wüstenbildung und die Rechte von Homosexuellen zu erinnern. Erst in den vergangenen Jahren ist das Aktionstagswesen ausgeufert. Im Internet-Zeitalter ist es eben nicht so schwer, einen Gedenktag publik zu machen. Und manchmal kann so einer im anarchischem Cluster eine erstaunliche Karriere hinlegen, wie Autor Timo Lokoschat in seinem Buch „Es wird eng im Kalender. 365 Gedenk- und Feiertage“ schreibt. Zum Beispiel der internationale Tag der Putzfrau (8. November): Die ursprüngliche Idee hatte Schriftstellerin Gesine Schulz, deren Romanheldin gleichzeitig Putzfrau und Privatdetektivin ist. Den angeblichen Geburtstag der Protagonistin schrieben begeisterte Leser aus Jux in die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Erst nach Monaten, so Lokoschat, bemerkten Wiki-Nutzer den Scherz und entfernten den Tag aus dem Lexikon. Da hatten allerdings schon Gewerkschaften und Medien massenhaft den Tag zum „aktuellen Anlass“ genommen, für die Rechte von Putzfrauen zu kämpfen. So bekam der Putzfrauen-Tag seinen Wikipedia-Eintrag zurück.

Berühmt ist auch der „Star Wars“-Tag am 4. Mai, der auf einen Übersetzungsfehler zurückgeht. Regisseur George Lucas beendete einst eine Rede mit dem Jedi-Gruß „Möge die Macht mit dir sein“. Auf Englisch: „May the force be with you.“ Der Übersetzer dolmetschte hingegen: „May the Fourth“ – der 4. Mai.

Für Unternehmen und Verbände sind Kalendertage gute Werbeträger. Bestes Beispiel ist der Tag des Bieres (23. April), der von Deutschen Bierbrauern schon 1994 ausgerufen wurde – Anlass war der Erlass des bayerischen Reinheitsgebots im Jahr 1516. Seither gibt es an diesem Tag ein Maß an Aktionen: Brauereifeste, Bier-Verkostungen, Bier-Königinnen-Wahlen, Bier-Lesungen in Kooperation mit dem Buchhandel, weil gleichzeitig der Welttag des Buches koexistiert. International sehr erfolgreiche Beispiele sind der Valentinstag und Muttertag. Eher ernsthaften Themen widmen sich die Aktionstage der Gesundheitsverbände – nahezu jede Krankheit, jedes Organ hat einen Gedenktag.

Viele der skurrilen Schöpfungen sind indes aus Amerika herübergeschwappt. Die wohl akribischste Auflistung für Jahrestag-Fans gibt die Internet-Plattform „Kleiner Kalender“. Dort finden sich Kuriositäten wie der Sprich-wie-ein-Pirat-Tag (19. September), Nimm-deinen-Hund-mit-zur-Arbeit-Tag (23. Juni) oder Keine-Hausarbeit-Tag (erst wieder am 7. April). Meist geht es den Initiatoren wohl darum, regelmäßig eine kleine Party zu feiern.