Hannover.

Ohne die Verabreichung von Antibiotika kommt die Fleischindustrie nicht mehr aus: Bundesweit werden doppelt so viel Antibiotika verwendet wie in allen Arztpraxen und Krankenhäusern zusammen – weltweit liegt die Menge noch darüber. Der sorglose Einsatz der Präparate in der Massentierhaltung ist ein großes Problem. Denn Forscher sind sicher, dass ein großer Teil der Antibiotika-Resistenzen in der Tiermast entstehen. Die resistenten und multiresistenten Bakterien sowie Medikamentenrückstände gelangen mit der Gülle großflächig in die Umwelt, sie können sogar über die Lebensmittel direkt zum Menschen kommen.

Der Keimtyp LA-MRSA CC9/CC398 könne insbesondere durch Putenfleisch in den Körper gelangen, teilte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Ende April mit. Will man den Antibiotika-Verbrauch in den Ställen senken, muss man dafür sorgen, dass die Tiere gesund bleiben. Das versuchen Forscher nun mit Mikroben, die bereits vor 100 Jahren entdeckt wurden: Bakteriophagen. Bei diesen Viren handelt es sich um die natürlichen Gegenspieler von krankheitserregenden Bakterien. Das heißt, statt menschliche oder tierische Zellen greifen die Phagen Bakterien an (siehe Kasten).

Die Viren werden ins Tränkesystem eingeleitet

Ein Projekt an der Tierärztlichen Hochschule (Tiho) Hannover beschäftigt sich mit der Bekämpfung von Campylobacter in Hühnerställen. Das Bakterium lebt im Darm vieler Tiere und ist der häufigste bakterielle Erreger von Durchfallerkrankungen in Deutschland. „Innerhalb der EU ist er jährlich für 200.000 Erkrankungen verantwortlich – mit steigender Tendenz“, sagt Sophie Kittler vom Institut für Lebensmittelqualität und -sicherheit an der Tiho.

Die übliche Bekämpfung des Erregers in der Produktionskette ist extrem aufwendig. Sie basiert auf strikten Hygieneregeln wie dem Einbau von Schleusen zwischen Stall und Außenwelt, der Trennung von Alltags- und Arbeitskleidung und regelmäßiger Desinfektion. In Hannover versucht man nun, Phagen gegen die Bakterien einzusetzen. „Bei Tests in Tiergruppen hat das sehr gut funktioniert. Die Bakterienlast konnte stark gesenkt werden“, sagt Kittler. Im Laborversuch war das kein Problem, doch wie versorgt man Zehntausende Hühner in einem Stall mit Phagen? „Wir haben die Viren ins Tränkesystem eingeleitet“, erklärt Kittler. So sei sichergestellt, dass alle Tiere die Phagen über das Wasser aufnehmen. Ziel sei es, auf diese Weise den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren. „Solche Medikamente dürfen in Lebensmitteln nicht enthalten sein. Phagen hingegen sind ohnehin überall, im Stall, auf Lebensmitteln, in unserem Darm“, sagt die Veterinärin. Anders als Antibiotika wirken die Phagen aber gezielt nur gegen die Erreger. In die natürliche Mikrofauna wird also deutlich weniger eingegriffen.

Drei Feldversuche hat Sophie Kittler mit Phagen durchgeführt. „In einem Stall war Campylobacter bereits nach einem Tag nicht mehr im Kot der Hühner nachweisbar“, sagt die Tierärztin. In den anderen Versuchen sei es zumindest gelungen, die Vermehrung der Erreger zu stoppen.

Für ihre Versuche hat Kittler mit Landwirten aus der Umgebung zusammengearbeitet. Die seien sich des Problems bewusst, doch viele Bauern seien skeptisch gegenüber dem Einsatz von Viren in der Lebensmittelproduktion. „Man muss ihnen deutlich machen, dass Phagen keine krankmachenden Viren sind, und dass sie ohnehin auf jedem Brot, jedem Salatblatt und jedem Schreibtisch sitzen“, sagt Kittler.

Dennoch bleibt die Frage, ob Geflügelzüchtern die Vorstellung gefällt, massenhaft Viren in die Tränken ihrer Ställe zu geben. Die Tierärztin Eva-Maria Näser sieht darin allerdings kein allzu großes Hindernis. „Allen Beteiligten ist bewusst, dass Campylobacter ein echtes Problem in der Lebensmittelhygiene darstellt“, sagt die Leiterin des Referats Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit beim Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) in Berlin.

„Wenn Phagen als Futtermittelzusatz genehmigt werden, würden die Landwirte sich bestimmt nicht dagegen sträuben.“ Bestätigung also für die Versuche von Sophie Kittler von der Tiho. Der Erfolg hat die 32-Jährige ermutigt, auf dem Gebiet weiterzumachen. Ihr nächstes Projekt gilt E-Coli Bakterien – mit Phagen von der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) in Braunschweig.

Dort hat man häufiger Kontakt mit Tierärzten. „Vor einigen Monaten rief eine Tierärztin aus dem Tierpark Nürnberg bei uns an und bat händeringend um Phagen“, erinnert sich Kuratorin Christine Rohde. Der Grund: Ropen, ein Panzernashorn im Zoo, litt unter einer stark infizierten Wunde an einem Fuß – das ist für ein tonnenschweres Tier lebensbedrohlich. Weil man die eigenen Phagen nicht zur Therapie herausgeben dürfe, habe sie auf Georgien verwiesen, wo Phagencocktails gegen gängige Infektionen hergestellt werden. „Da ich zufällig eine Schachtel Pyophage aus Tiflis privat im Kühlschrank liegen hatte, hab ich die angeboten, obwohl die schon etwas älter war“, erinnert sich Rohde. In Nürnberg säuberten die Tierärzte die Wunde des Nashorns und trugen mit einem Pinsel den Phagencocktail aus Braunschweig auf. Mit Erfolg: Ropen geht es heute deutlich besser.

Der Autor hat für seine Recherchen zum Thema Phagen ein Robert-Bosch-Stipendium erhalten. Wir setzen die Berichterstattung fort.