Berlin.

Es ist ein bewegender Moment, als Severn Suzuki während der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro ans Rednerpult tritt. Die Zwölfjährige ist Gründerin der Kinderumweltorganisation ECO, sie hat das Geld für die Reise in die brasilianische Metropole selbst gesammelt. Severn spricht über Umweltzerstörung, die Nöte der nächsten Generationen. Sie sagt: „Sie wissen nicht, wie die Löcher in unserer Ozonschicht zu beheben sind. Sie wissen nicht, wie man Lachse in einem toten Fluss ansiedeln kann. Sie wissen nicht, wie man ausgestorbene Tiere zurück in den Wald bringt, der einmal dort wuchs, wo jetzt Wüste ist. Wenn Sie nicht wissen, wie Sie all das reparieren können, dann hören Sie damit auf, es zu zerstören!“

Alle Teilnehmer wollten Nachhaltigkeit

Ein persönlicher, provokanter Appell an die Delegierten. Aber die stehen auf und applaudieren. Der spätere US-Vizepräsident und Umweltschützer Al Gore sagt, sie habe die beste Rede der Konferenz gehalten. Ein weiteres Superlativ, das die Weltgemeinschaft zum Umdenken bringen sollte.

Der „Erdgipfel“ in Rio war das größte diplomatische Ereignis des 20. Jahrhunderts und gilt als Meilenstein für die Umwelt- und Entwicklungspolitik. Heute vor 25 Jahren kamen am Zuckerhut Vertreter von mehr als 170 Ländern zusammen: 130 Staatsoberhäupter, 17.000 Konferenzteilnehmer, 500 Nichtregierungsorganisationen wirkten mit, 8500 Journalisten berichteten. Das Ziel: Armut und Umweltverschmutzung zu verbannen und den Raubbau an der Erde zu stoppen. Als revolutionär galt, dass die Bereiche Umwelt, Soziales und Wirtschaft dabei als zusammenhängend betrachtet wurden – dies prägte den Begriff „nachhaltige Entwicklung“.

Ein neuer Geist sollte nach Ende des Kalten Kriegs künftig die Weltpolitik bestimmen. Fidel Castro applaudierte George Bush Senior und umgekehrt. Der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer sagte: „Ich befürchte, die Konservativen in den Vereinigten Staaten machen den ‚Ökologismus‘ zum neuen Feind.“ Bush konterte: „Amerika steht im Umweltschutz niemandem nach. Deshalb bin ich nicht hierhergekommen, um mich zu entschuldigen.“ Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl präsentierte die ambitionierte Umweltpolitik des vereinten Deutschlands.

Die Konferenz gipfelte in Erklärungen und Verträgen. Die wichtigsten Ergebnisse der UNCED (United Nations Conference on Environment and Development) ist die 350 Seiten dicke Agenda 21 sowie Rahmenabkommen zum Schutz von Klima und Artenvielfalt. „Das war damals eine Aufbruchstimmung. Was aber viele zu dem Zeitpunkt nicht geahnt hatten, war, dass das Ganze das Tempo einer Schnecke haben würde“, sagt Klaus Milke, der für die Organisation Germanwatch an der Konferenz teilnahm.

Die Agenda 21 war unverbindlich, und reiche Länder gaben laut Milke zu wenig Geld, um eine nachhaltige Entwicklung in den armen zu fördern. „Schon in Rio war klar, dass wir nicht so weiterwirtschaften können wie zuvor. Und gleich nach Rio wurde die Welthandelsorganisation gegründet, ein Beschleuniger für Globalisierung ohne Grenzen“, kritisiert auch Barbara Unmüßig. Sie koordinierte in Rio die deutschen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen und ist heute Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung. In Rio seien zudem keine Obergrenzen festgelegt worden für Abholzung, Fischfang und den Ausstoß von Treibhausgasen.

„Was wir in den 25 Jahren seit der Rio-Konferenz erlebt haben, waren große Schritte der Zerstörung und kleine Schritte der Politik“, sagt Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz des WWF Deutschland. Tatsächlich hat der Mensch trotz aller Bekenntnisse dann innerhalb einer Generation die Probleme verstärkt: Er hat Wald von der 6,5-fachen Fläche Deutschlands vernichtet, den jährlichen Kohlendioxidausstoß um gut 50 Prozent gesteigert und gewaltige Plastikstrudel in den Ozeanen geschaffen. Mit der Biodiversitätskonvention wurden laut Heinrich zwar weltweit Schutzgebiete von vielen Millionen Hektar geschaffen, „dennoch erleben wir in den letzten Jahrzehnten einen drastischen Rückgang der weltweiten Artenvielfalt“.

Umweltschützer warnen, dass viele Länder den Ausstieg aus der besonders klimaschädlichen Kohle zu langsam angingen. „Wie stark der Einfluss der Kohle- und Öllobby noch immer ist, sehen wir an der rückständigen Energiepolitik von Donald Trump“, sagt Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid. Immerhin hätten sich die erneuerbaren Energien so rasant entwickelt, dass sich Klimaschutz in immer mehr Regionen ökonomisch rechnet. Umweltschützer Töpfer macht den Egoismus des Einzelnen verantwortlich: „Wir sind immer noch der Meinung, wir müssten wirtschaftliches Wachstum haben, wir müssten noch mehr konsumieren“, kritisiert er. Für eine faire, umweltfreundliche Welt sei es wichtig, die Handels- und Agrarpolitik so zu gestalten, dass Arbeitsplätze in ärmere Länder verlagert werden.

Hoffnungen gibt es für die Umsetzung des 2015 beschlossenen Pariser Klimaabkommens sowie die Agenda 2030 mit 17 globalen Entwicklungszielen. Damit sollen Hunger und extreme Armut bis 2030 verschwunden sein und die Natur geschützt werden. Außerdem ist der Einfluss von Umweltschützern gestiegen. Millionen Menschen arbeiten weltweit für Ökologie, Gerechtigkeit und Demokratie. Wie Severn Suzuki, die zwölfjährige Rednerin beim UN-Erdgipfel. Sie gehört heute zu den weltweit renommiertesten Umweltaktivisten. Man kann ihre Worte heute, 25 Jahre später, auf Youtube hören. Sie sind eindringlicher denn je.(mit dpa)