Das Drama „The Dinner“ erzählt von zwei Paaren, die überlegen, ob sie ein Verbrechen ihre Söhne vertuschen sollen

Es gibt schon seltsame Rückkopplungen zwischen der Realität und der Filmwelt. In der Realität wird am 16. Juni das Urteil gegen die sieben Jugendlichen gesprochen, die im Dezember am Berliner U-Bahnhof Schönleinstraße einen schlafenden Obdachlosen angezündet haben. Auf der Leinwand sehen wir nun zwei Jugendliche, die dasselbe tun - ohne ersichtlichen Grund, einfach nur, weil es geht.

Die schreckliche Tat der beiden Heranwachsenden ist der Grund für das Abendessen, das diesem Film seinen Namen gibt. Im Unterschied zu den Tätern von Neukölln handelt es sich um Kinder aus reichem Hause: Da ist zum einen Stan Lohman (Richard Gere), ein erfolgreicher Abgeordneter mit Blick auf den Posten des Gouverneurs – mitsamt seiner ehrgeizigen Frau Katelyn (Rebecca Hall). Und da sind zum anderen sein Bruder, der Historiker Paul (Steve Coogan), und dessen Frau Claire (Laura Linney). Die Frage, die man bei Perlhuhn auf Eidotter im Pilzbett, Salat mit Rosmarin aus Oregon und ähnlichen Kreationen zu klären hat, ist diese: Vertuscht man die Angelegenheit und bringt den Jungs auf diese Weise bei, dass man mit so etwas davonkommen kann? Oder steht man dazu und beendet damit gleichzeitig Stans aussichtsreiche Karriere?

Das Setting erinnert stark an Yasmina Rezas Theaterstück „Der Gott des Gemetzels“ und Roman Polanskis darauf basierender Verfilmung von 2011. Vier Eltern, die einen Vorfall besprechen, der ihre Kinder betrifft – und dabei weit darüber hinausgreifende Konflikte zu bewältigen haben. So ist es auch in dieser Geschichte, die einer Romanvorlage des niederländischen Autors Herman Koch folgt.

Das Stück war auch schon in Hamburg, im Altonaer Theater, zu sehen,. Die psychologische Dynamik ergibt sich vor allem aus dem Bruderpaar und den alten Wunden und Rechnungen, die beide Männer in sich tragen. Paul ist ein verbitterter Zyniker, der sich in der Pose desjenigen gefällt, der den Menschen unbequeme Wahrheiten ins Gesicht sagt – und dabei verkennt, dass die Voraussetzungen seines hasserfüllten Blicks auf die Welt für die anderen nicht zwingend gelten.

Stan dagegen, in der Kindheit mit mehr elterlicher Liebe versorgt und dementsprechend ausbalancierter, sorgt sich vor allem um sein berufliches Fortkommen und wird von Anrufen und Textnachrichten immer wieder aus dem Takt des Abends gerissen.

Hinzu kommen noch die beiden Frauen: die junge Katelyn, die stark mit den Komplexen einer Dekorationsfrau zu kämpfen hat, und die überfürsorgliche Claire, die in den Rüpeleien ihres Gatten vor allem Hilfeschreie erkennen will.

Das ist eine in weiten Teilen sehenswerte Studie über Familienpsychologie, die jeden etwas angeht. Aber Regisseur Oren Moverman will noch mehr, nämlich eine Diagnose über das heutige Amerika – und hier beginnt der Film unter der Last seiner Ambitionen in die Knie zu gehen. Der Streit der Brüder in Gettysburg, in Form einer Rückblende erzählt, wirkt wie ein Fremdkörper in diesem Kammerspiel, das viel gewonnen hätte mit der naheliegenden Entscheidung, in seiner Kammer zu bleiben.

„The Dinner“ USA 2017, 120 Min., ab 12 Jahre,
R: Oren Moverman, D: Richard Gere, Laura Linney, Steve Coogan, täglich im Passage