Vancouver.

Historisches Ereignis in Kanada: Erstmals seit über 140 Jahren sind im ältesten und weltweit populärsten Nationalpark des Landes wieder Bison-Kälber in der Wildnis geboren worden. Laut kanadischer Parkbehörde haben in einem entlegenen Tal von Banff zwischen dem 22. April und vergangener Woche zehn gesunde Bison-Babys das Licht der Welt erblickt. „Die erste kritische Phase ist überstanden“, sagt Banff-Parkbiologe Bill Hunt dieser Zeitung. Die Kälber machten einen gesunden Eindruck und hätten eine gute Chance, in Freiheit zu überleben.

Die Geburten sind ein Meilenstein beim Versuch der kanadischen Regierung, die einst fast ausgerotteten Tiere wieder ihrer angestammten Heimat in den Grasebenen der Rocky Mountains anzusiedeln. „Die Geburten sind ein riesiger Schritt“, erklärt Hunt.

Es ist eine spektakuläre Rückkehr, an der das ganze Land Anteil nimmt. Vor der Ankunft der Weißen in Nordamerika lebten einst viele Millionen Bisons in den endlosen Prärielandschaften und Nadelwäldern. Den Ureinwohnern sicherten die riesigen Herden das Überleben. Doch Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einem beispiellosen Massenschlachten, mit dem Ziel, den Ureinwohnern die Lebensgrundlage zu entziehen. Am Ende blieben in Kanada lediglich acht Tiere übrig, die Art überlebte nur dank staatlicher Aufzuchtprogramme.

Grizzlybären lauern schon vor dem Schutzzaun

Anlässlich des 150. Geburtstages Kanadas in diesem Jahr sollten die ikonischen Tiere nun wieder im Vorland der Rocky Mountains streunen können. Im Februar hatte die Parkbehörde dazu 16 Tiere auf einer Weide im Hinterland von Banff ausgesetzt. Die Bisons, die Schritt für Schritt von Biologen an ihre neue Heimat gewöhnt wurden, kamen aus dem Elk-Island-Nationalpark, einem umzäunten Schutzgebiet außerhalb der Rocky Mountains.

„Dies ist ein historischer Moment und die perfekte Art, Kanadas 150. Geburtstag zu feiern“, freute sich Umweltministerin Catherine McKenna – Kanada hat die Schirmherrschaft beim Weltumwelttag am 5. Juni. „Der Bison hat eine Schlüsselrolle in der kanadischen Geschichte und ist auch Teil des Lebens der indigenen Völker.“ Premierminister Justin Trudeau sagt: „Wenn es um unsere Umwelt geht, haben wir Kanadier es begriffen.“

Bei zehn der ausgesetzten Bisons handelte es sich um junge, bereits schwangere Weibchen, sechs waren Bullen. Die Tiere waren per Hubschrauber in riesigen Industriecontainern in die Rocky Mountains geflogen worden – ein riskantes Projekt, das sich die Regierung umgerechnet 4,1 Millionen Euro hat kosten lassen. Die Geburt der Kälber in Banff erhöht laut Biologen nun die Chancen einer dauerhaften Wiederansiedlung, da die Familien nun eine biologische Bindung zum Ökosystem in den Bergen entwickeln sollen.

Gehalten werden die Tiere derzeit noch auf einer umzäunten Koppel unter der strengen Beobachtung der Experten. Das Gebiet liegt in der nur schwer zugänglichen Wildnis von Panther Valley, etwa 40 Kilometer nördlich des beliebten Touristenortes Banff. Besucher können das Bison-Gelände nur auf einer Mehrtageswanderung mit Rucksack und Zelt erreichen. Eine öffentliche Straße dorthin gibt es nicht.

Die Koppel ist eine vorläufige Maßnahme. Damit will die Regierung sicherstellen, dass die geplante Ansiedlung der Bisons auch langfristig gelingt. Verletzlich sind vor allem die Jungtiere, von denen die jüngeren noch die Größe eines Haushundes haben. Sie gelten Grizzly-Bären, von denen es im Banff-Nationalpark 60 bis 70 Tiere gibt, als schmackhafte Beute. Die ersten Grizzlys wurden von dem Frischfleisch-Geruch schon angelockt. Vor wenigen Tagen fand die Parkleitung erstmals Spuren der Räuber vor dem Zaun.

Wenn alles nach Plan verläuft, sollen Elterntiere und Junge im Sommer 2018 die Koppel verlassen und in einer etwa 1200 Quadratkilometer großen Wildnis innerhalb des Parks ausgesetzt werden. Der Mensch soll dann nur noch selten in das Bison-Leben eingreifen.

Nach weiteren fünf Jahren wollen die Experten dann eine Bilanz des Aufzuchtprogramms ziehen. Läuft alles optimal, sollen die Wildrinder ganz ohne Hilfe des Menschen überleben. Laut Experten dürfte die Herde bis dahin aus rund 80 Tieren bestehen, eine Größe, die den Bestand sichert. Vor den Grizzlys müssen die Eltern dann ihre Kälber selbst beschützen.