Hannover.

Die Wucht der Gewalt ist schwer fassbar. Dass das Opfer das Martyrium überhaupt überlebt hat, halten die Ärzte für ein Wunder. Die Frau ist durch die Brutalität gezeichnet, aber sie kann davon berichten, wie sehr sie unter ihrem Peiniger gelitten hat.

Ein halbes Jahr liegt die Tat nun zurück, die seit Montag vor dem Landgericht Hannover verhandelt wird. An einem Sonntagabend Ende November brachte Nurettin B. (39) seinen damals zweijährigen Sohn zu seiner ehemaligen Partnerin (28) zurück. Nachdem er an der Wohnungstür der Frau unweit des Bahnhofs in der niedersächsischen Stadt Hameln klingelte, kam es zu einem heftigen Streit, der schnell eskalierte. Die Anklage wirft Nurettin B. vor, mit der stumpfen Seite einer Axt auf seine ehemalige Partnerin eingeschlagen und sie mit Messerstichen in der Herz- und Bauchgegend verletzt zu haben.

Als die blutende Frau bereits wimmernd auf dem Boden lag, setzte sich der Gewaltexzess fort – der Angeklagte hat den Ablauf beim Prozessauftakt gestanden: Er holte ein zwei Meter langes Seil aus dem Kofferraum, legte die Schlinge um den Hals seines Opfers, befestigte das Seil an der Anhängerkupplung. Dann stieg er in seinen Wagen, in dem der Sohn noch saß, gab Vollgas und raste über Asphalt und Kopfsteinpflaster davon. Erst nach etwa 200 Metern löste sich der Strick. Die Frau blieb mit einem Schädelbruch vor einem Imbiss liegen, kam mit lebensgefährlichen Verletzungen in eine Klinik. All das unter den Augen der Nachbarn – die Frau schrie so laut, dass mehrere Menschen ans Fenster eilten und das brutale Geschehen verfolgten. Das Opfer lag tagelang im künstlichen Koma. Erst im März wurde die Frau aus einer Rehaklinik entlassen.

Das Opfer verbirgt Narben unter einem Kopftuch

Zum Prozessauftakt wird sie ausführlich als Zeugin vernommen. Wie ihr früherer Lebensgefährte hat sie kurdische Wurzeln. Die 28-Jährige trägt ein Kopftuch – nicht aus religiösen Gründen, sondern um die Stellen am Kopf zu verdecken, an denen keine Haare mehr wachsen. Sie nennt ihren Ex-Partner nur „den Täter“. Das Paar hatte sich bei einer Kurden-Demonstration kennengelernt, ihre Familien arrangierten die Ehe. Sie heirateten nicht standesamtlich, sondern nach islamischem Recht. „Ich dachte mir, er ist ein vernünftiger Mensch“, erinnert sich die Mutter seines Sohnes. Jedoch: „Sobald wir verheiratet waren, fing der Horror an.“ Er habe sie bespuckt, beleidigt und geschlagen, verbot ihr den Besitz eines Handys und schließlich jeden Besuch bei Verwandten.

Nurettin B.s Ex-Frau wehrte sich gegen ihr häusliches Gefängnis. „Ich bin kein Sklave“, habe sie ihm gesagt. 2014 floh sie mit dem Baby zu ihrer Mutter. Es entbrannte ein Streit um Unterhalt, um zur Hochzeit geschenkten Goldschmuck, den er wieder einkassierte, sowie um das Sorgerecht.

Richter Wolfgang Rosenbusch versucht, sich ein Bild des Angeklagten zu machen, der keine Nachfragen beantwortet und kaum Regungen zeigt: „Hat er Probleme mit Frauen?“ Die 28-Jährige sagt: „Frauen müssen für ihn Sklavinnen sein. Frauen, die rauchen, sind Huren.“ Verrückt sei er, schimpft sie. Schon im August habe er ihr gedroht: „Deine Tage sind gezählt.“ Der Vorfall kam damals vor Gericht, beide durften sich nach einem Vergleich nur noch bis auf 20 Meter nähern – außer zur Übergabe des Jungen, der jedes zweite Wochenende bei seinem Vater verbrachte.

Nurettin B. selbst beteuert, die Tat sei nicht geplant gewesen. Es tue ihm unendlich leid, was er ihr und dem gemeinsamen Sohn angetan habe, lässt er seinen Anwalt erklären. Ursprünglich habe er sich an diesem Tag selbst umbringen wollen. Er sei einfach ausgerastet, Seile und Axt habe er wegen Gartenarbeiten zufällig im Auto gehabt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Mord vor. Während der gesamten Zeugenaussagen verzieht er keine Miene. Nur als seine Ex-Frau sagt, er liebe seinen Sohn nicht, schüttelt er leicht den Kopf. Der Dreijährige leidet nach Aussage der Mutter massiv unter den Folgen der Attacke. Morgens um vier oder fünf Uhr wache er auf und rufe laut: „Er ist da!“

Nach Medienberichten sind Täter und Opfer Mitglieder eines Clans, deren Angehörige sich M-Kurden/Mhallami-Kurden nennen. Diese Großfamilien lehnen den Rechtsstaat ab, Gesetze und gesellschaftliche Regeln spielen für sie keine Rolle. Für den Prozess sind drei Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil könnte am 31. Mai gesprochen werden.