Der Schreibtisch ist und bleibt ein Erkennungsmerkmal für Charakterstärken und -schwächen

Hab alles im Kopf, muss es nur noch aufschreiben. Um sich für ­Mozarts Arbeitsweise zu qualifizieren, muss man mächtig begabt sein. Der Rest von uns kreist mit unschöner Regel- ­mäßigkeit um die Aufgaben des ­Tages, die sich auf dem Schreibtisch zur Papierbergkette des Grauens zusammenklumpen können. Da liegen sie dann. Liegen und liegen und kriegen Jahresringe, und die übelsten verwesen bis zur Rente vorwurfsvoll vor sich hin.

Kein Wunder also, dass die meisten Deutschen jetzt bei einer Umfrage des Lebenskünstler-Magazins „Apotheken Umschau“ deutlich gegen diese schmerzhafte Selbsterkenntnis geantwortet haben: Fast jeder Zweite (42,1 Prozent) sagte, er würde als erste Aufwärmübung regelmäßig den Schreibtisch aufräumen. Ja nee, is klar. Wo diese beneidenswert charakterstarken Zeitgenossen arbeiten und wann das passiert, wurde jedoch nicht enthüllt. Es muss irgendwo sein, wo sie sehr aufgeräumt ganz unter sich sind. Denn der reinigende, beruhigend gereinigte ­Anblick einer leeren Büromöbel-Fläche ist im Alltag etwa so selten wie ein Einhorn, das Glitzerstaub pupsen und ­parallel „La Paloma“ pfeifen kann.

Viele chronische Schreibtischplattenzumüller besitzen aber auch einen grundguten Charakterzug: Sie schämen sich für ihr fröhlich wucherndes Versagen. 47,3 Prozent finden das Chaos „regelrecht abstoßend“, wurde herausgefunden. Aufräumen hilft also. Befördert werden aber hilft womöglich auch. Dann kann man, mit etwas Glück, alles ganz einfach wegdelegieren, bis man das Trump-Stadium erreicht hat. Dann sitzt man am fotogen leeren Weltenlenker-Tisch und braucht nur noch anzukreuzen: „Ja“, „Nein“, „Vielleicht“.