Kiew .

Es ist nach 53 Jahren der erste Sieg für Portugal beim ESC: Sänger Salvador Sobral (27) landete mit dem von seiner Schwester komponierten Lied „Amar pelos dois“ mit 758 Punkten deutlich vor den Kandidaten aus Bulgarien und Moldau auf dem ersten Platz. Und das ganz ohne Pyrotechnik, Backgroundtänzer oder Lasershow.

Es war der Sieg des Leisen über die Effekthascherei. Sobrals Bühnenshow war genauso reduziert wie sein Outfit im Anzug. Seine melancholische Ballade sang er konzentriert, schloss dabei oft die Augen und bewegte den Kopf so, wie Musiker es tun, die völlig in sich versunken sind. Das Publikum war berührt. Insgesamt 18 der 42 teilnehmenden Nationen gaben ihm zwölf Punkte. „Musik, das sind nicht Feuerwerke, sondern ein Gefühl“, sagte er nach seinem Sieg. Auf der Pressekonferenz plädierte er dafür, „Musik, die etwas bedeutet“, wieder in den Vordergrund zu stellen.

Für Deutschland war der Wettbewerb die dritte schlimme ESC-Enttäuschung in Folge: Die Berlinerin Levina landete mit sechs Punkten (drei aus Irland, drei vom Publikum) mit „Perfect Life“ auf einem ganz und gar nicht perfekten vorletzten Platz, weit hinter ihrem Ziel, den Top Ten.

An mangelndem Fleiß kann es nicht liegen: Neun Länder hatte sie in den Wochen zuvor bereist, war für Interviews durch ganz Deutschland getingelt und postete in den Tagen vor dem Wettbewerb täglich Storys auf Instagram. Aber in den Tagen vor dem Wettbewerb, als die Wettbüros sie auf Platz 17 handelten, hatten wenige eine derartig miese Wertung erwartet.

Eine herbe Enttäuschung für die 26-Jährige. „Natürlich bin ich total traurig – mit diesem Ergebnis habe ich nicht gerechnet. Aber der ESC war eine wunderbare Erfahrung, die Vorbereitung und die Zeit hier in Kiew haben super Spaß gemacht“, heißt es in einem Statement von Levina. Am heutigen Montag fliegt sie erst einmal nach London, wo ihr Freund lebt. Dort will sie zur Ruhe kommen. Erst dann geht es zurück nach Berlin, Zeit mit der Familie verbringen. Und sie wird weiter an ihrer Musik arbeiten – das hat sie im Vorfeld gesagt.

Auch ESC-Experten zeigten sich von der schlechten Bewertung der Deutschen schockiert. „Den vorletzten Platz hat sie nicht verdient. Ich denke, es hatte viel mit dem Lied zu tun. Es war einfach nicht einzigartig genug, vielen anderen Beiträgen zu ähnlich“, sagt Dean Vuletic, der an der Universität Wien zur Zeitgeschichte Europas forscht und im Herbst ein Buch zur Bedeutung des ESC im Nachkriegseuropa veröffentlichen wird.

Das Motto des diesjährigen Wettbewerbs war „Celebrate Diversity“ – die Vielfalt feiern. „Ich verstehe nicht, was an einem Wettbewerb vielfältig ist, bei dem fast alle in englischer Sprache singen“, sagt Vuletic.

Portugal hatte sich im Vorjahr das zweite Mal in vier Jahren aus dem Wettbewerb, der für die teilnehmenden Länder mit hohen Ausgaben verbunden ist, zurückgezogen. Wie viele TV-Sender leidet auch die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt Portugals RTP unter sinkenden Einschaltquoten. Das Land zählt außerdem zu den großen Verlierern der Eurokrise. Umso mehr strahlt ein Sieg mit einem auf Portugiesisch gesungenen Lied. „Und so hat am Ende eben doch die Vielfalt gewonnen“, sagt Vuletic.

Nur zwei Finalisten sangen in ihrer Muttersprache

Im Wettbewerb war sie rar: Außer dem Italiener Francesco Gabbani, der mit seinem „Occidentali’s Karma“ über Wochen bei den Wettbüros als Favorit gehandelt wurde und dann nur Platz sechs machte, sangen nur noch zwei weitere Finalisten (Weißrussland und Ungarn) in ihrer Muttersprache. Darin liegt vielleicht eine Lektion für Deutschland, ja, für alle Nationen, deren Kandidaten beim ESC antreten.

Der von der Europäischen Rundfunkunion EBU ausgetragene Wettbewerb ist laut Experten wie Vuletic ein wenig aus der Zeit gefallen, Relikt einer Ära ohne Smartphones und Streaming-Dienste im Web, als man sich noch zu TV-Ereignissen wie „Wetten dass,..?“ vor dem Fernseher versammelte.

Bei der Analyse der Hintergründe für das schlechte Abschneiden im Finale wurden Stimmen laut, die sich Kandidaten wünschen, die nicht den üblichen englischsprachigen Pop-Einheitsbrei liefern, sondern sich bewusst davon abheben. „Ich persönlich fände es ganz großartig, beim ESC ein Lied in deutscher Sprache zu hören. Das wäre in diesen Zeiten wirklich mal etwas Besonderes“, sagt Vuletic.

Was sich Deutschland für den ESC 2018 in Portugal einfallen lässt, bleibt abzuwarten.