Die Stiftungs-Lotsen vom Verein Hamburgische Brücke helfen Menschen in Not. Auch Bärbel Maria Borstelmann fasste dadurch neuen Mut

Sie sah keinen Ausweg mehr. Zehn Jahre lang lebte Bärbel Maria Borstelmann (76) in einer winzigen Wohnung auf dem Hamburger Berg auf St. Pauli. Anfangs war alles in Ordnung, doch im Laufe der Jahre wurden die Zustände in der Wohnung und im Mietshaus immer schlimmer. Der Fahrstuhl funktionierte nicht mehr, die Haustür war zertrümmert. „In der Wohnung waren die Wänden feucht und voller Schimmel“, sagt Bärbel Maria Borstelmann. Nichts wurde instand gesetzt. Und auch die Umgebung empfand die Seniorin, die mit kurzer Unterbrechung seit über 50 Jahren auf dem Kiez lebt und selbst lange in Kneipen arbeitete, zunehmend unangenehmer. Nächtliches Gegröle und Randale nahmen ständig zu.

Zu den äußeren Umständen kam die eigene Perspektivlosigkeit. „Als mein Mann starb, erbte ich eine Menge Schulden. Ich habe nur eine kleine Rente und lebe von Sozialhilfe“, erzählt die patent wirkende Frau mit der tiefen Stimme. Sie trank gegen den Kummer an. „Doch eines Tages stellte ich mich vor den Spielgel und sagte: Das bin ich nicht“, erinnert sie sich. Sie schaffte es, vom Alkohol loszukommen.

Kurz vor Weihnachten 2014 besuchte sie den Seniorentreff im Nachbarschaftsheim St. Pauli e. V. „Dort kann man Kaffee trinken und klönen“, sagt die ältere Dame. Sie erzählte der Sozialarbeiterin Hanna Blase, dass sie so nicht mehr weiterleben könne in ihrer Wohnung. Hanna Blase hatte eine Idee. Sie stellte den Kontakt her zu den Stiftungs-Lotsen der Hamburgischen Brücke. Und so trat Katharina Simon in das Leben der verzweifelten Bärbel Maria Borstelmann.

Katharina Simon arbeitet als Teilzeitkraft in der Vermittlungsstelle Stiftungen/Einzelfallhilfe der Hamburgischen Brücke – Gesellschaft für private Sozialarbeit e. V. Zu dem Bereich gehören auch die Stiftungs-Lotsen, ein Kooperationsprojekt der Homann-Stiftung und der Hamburgischen Brücke. Für die Stiftungs-Lotsen ist Katharina Simon ebenso wie 14 weitere Frauen und Männer ehrenamtlich tätig. „Unsere Aufgabe ist es, Menschen in Not unbürokratisch die Hilfe zu vermitteln, die sie tatsächlich benötigen“, sagt Katharina Simon, die früher im kaufmännischen Bereich tätig war.

Wie im Fall von Frau Borstelmann sind es soziale Einrichtungen, Gemeinden oder andere Organisationen, die auf Menschen in prekären Situationen aufmerksam machen. Die Stiftungs-Lotsen können, ergänzend zu staatlichen Hilfen, meist schnell und unbürokratisch helfen. Sie schauen vor Ort, was die Menschen an finanzieller und sonstiger Unterstützung benötigen. Die Zielsetzung lautet: Hilfe zur Selbsthilfe. Finanzielle Mittel für die einzelnen Fälle werden von der Homann-Stiftung bereitgestellt. Die Hamburgische Brücke, die seit ihrer Gründung mit Stiftungen zusammenarbeitet (siehe Kasten), organisiert und koordiniert die Hilfen in enger Abstimmung mit ihrem Partner.

Zu den Klienten und Klientinnen der Stiftungs-Lotsen gehören Menschen von Jung bis Alt und aus allen sozialen Schichten, denn jeder Mensch kann in Not geraten.

Stiftungs-Lotsin Hedwig Eversmann etwa übernahm den Fall des 23-jährigen Hamid. „Er war mit 17 Jahren als unbegleiteter Flüchtling aus Afghanistan nach Hamburg gekommen, hatte in einer Wohngruppe gelebt, als Kochgehilfe gearbeitet und konnte eine Ausbildung zum Koch beginnen. Als er umziehen musste und kurzfristig in Geldnot geriet, konnten wir ihn mit einer Einrichtungsbeihilfe unterstützen“, erzählt Eversmann, die schon lange im sozialen Bereich tätig ist. Dass eine finanzielle Hilfe notwendig ist, müssen die Stiftungs-Lotsen gegenüber der geldgebenden Stiftung nachweisen und auch dokumentieren, wofür das Geld ausgegeben wurde. „Oft bedanken sich die Menschen hinterher für die Hilfe, die sie erhielten. Auch Hamid tat dies und gab zudem ein Teil des Geldes, das er nicht gebraucht hat, zurück“, sagt Hedwig Eversmann. Mit dem Geldgeben allein sei es aber nicht getan. Der persönliche Kontakt, das Aufsuchen vor Ort, die Gespräche und Förderung von sozialen Kontakten seien ebenso wichtig in der Arbeit der Stiftungs-Lotsen.

Diese Kombination brachte auch Bärbel Maria Borstelmann neuen Lebensmut. Nachdem Katharina Simon die alte Wohnung der Seniorin gesehen und bestätigt hatte, dass dort kein Wohnen mehr möglich sei, besprachen beide das weitere Vorgehen. Zufällig wurde gerade eine bezahlbare Wohnung auf dem Kiez frei. Und so begleitete die Stiftungs-Lotsin die Rentnerin auf das Wohnungsamt, um die Genehmigung für einen Umzug einzuholen, sowie zu Gesprächen mit den Vermietern, beim Umzug und beim Kauf dringend benötigter Möbel. „Am meisten hat mir geholfen, dass sie mit mir auf dem Amt war, mit Behörden habe ich schlechte Erfahrungen gemacht, da wäre ich allein nicht hingegangen“, sagt Borstelmann.

Seit zwei Jahren wohnt sie inzwischen in ihrer neuen Wohnung, liebt den Blick von ihrem Balkon ins Grüne und hat einen guten Draht zu ihren Nachbarn. „Hier ist sie richtig aufgeblüht“, sagt Katharina Simon. Bärbel Maria Borstelmann fand auch den Mut, den Kontakt zu ihrer Tochter wieder aufzunehmen. „Wir hatten uns auseinandergelebt, aber jetzt nach dem Umzug hat mich meine Familie besucht“, sagt sie und zeigt stolz auf die Wand mit den Fotos von Tochter, Schwiegersohn, Enkel und Urenkel. „Wenn ich diese kleine Frau nicht gehabt hätte, hätte ich das nicht gepackt“, sagt sie, blickt Katharina Simon an und beide lachen. Das Leben macht wieder Spaß.