London.

Er konnte keine Gefühle zulassen. Fast zwei Jahrzehnte lang verdrängte Prinz Harry (32) den Tod von Prinzessin Diana mit 36 Jahren, bevor er verstand, dass er professionelle Hilfe brauchte, um im Leben zurechtzukommen. In einem ungewohnt offenen Interview mit der britischen Zeitung „Daily Telegraph“ spricht der Fünfte in der britischen Thronfolge erstmals ausführlich über seine psychischen Probleme, die der tragische Tod seiner Mutter für ihn mit sich brachte.

Harry war erst zwölf Jahre alt, als Prinzessin Diana im August 1997 bei einem Autounfall in Paris mit ihrem Lebensgefährten Dodi Al-Fayed (42) ums Leben kam. „Ich kann sicher sagen“, sagt Harry, „dass ich nach dem Verlust meiner Mutter alle meine Gefühle für 20 Jahre unter Verschluss gehalten habe und dass das einen ziemlich gravierenden Einfluss nicht nur auf mein Leben, sondern auch auf meine Arbeit hatte.“

Der Absolvent der royalen Militärakademie erzählt, dass er als Heranwachsender bei offiziellen Veranstaltungen an Panikattacken litt. „Ich war mehrere Male ziemlich nahe an einem kompletten Zusammenbruch“, sagt der Prinz. Schuld an seiner psychischen Instabilität seien „Trauer, Lügen und Missverständnisse“ gewesen, von denen er umgeben war. Sein Bruder William habe ihm dann geraten, professionelle Hilfe zu suchen. Auch Freunde hätten ihm gesagt: „Du musst das jetzt wirklich aufarbeiten. Es ist nicht normal zu denken, dass dich nichts davon berührt hat.“

Harry handelte sich den Ruf eines Partyprinzen ein

Seine eigene Einstellung sei lange eine der Abwehr gewesen. „Meine Art, damit umzugehen, war, den Kopf in den Sand zu stecken und mich zu weigern, an meine Mutter zu denken, denn warum hätte das helfen sollen? Ich dachte, das stürzt dich nur in Verzweiflung. Trauer bringt sie nicht zurück.“ Er habe sich gesagt: „Lass niemals Gefühle eine Rolle spielen.“ Er sei ein typischer 20-, 25-, 28-Jähriger gewesen, der herumrennt und sagt: „Das Leben ist großartig, das Leben ist fein.“

Abgesehen davon, dass es nicht immer großartig war. Schon als 17-Jähriger machte Harry Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass er einen Joint geraucht hatte, gern trank und Umgang hatte mit Freunden, die gerne die eine oder andere Linie Kokain zogen. Als Zögling des Elite-Internats Eton soll er sich durch die Abiturprüfung geschummelt haben. Er handelte sich den Ruf eines Partyprinzen ein, der in den Morgenstunden angetrunken aus Diskotheken taumelt, sich mit Fotografen eine Schlägerei liefert und sich gerne in einem Striptease-Club mit schönen Frauen vergnügt.

Im Jahr 2005 leistete sich „Dirty Harry“ dann einen unverzeihlichen Ausrutscher, als er eine private Party der britischen High Society mit einer Hakenkreuzbinde am Arm besuchte. Das Motto der Party sei „Kolonialbeamte und Eingeborene“ gewesen, und Harry sei als ein Soldat des Afrikakorps von Generalfeldmarschall Erwin Rommel gekommen, lautete die Erklärung des Prinzen vor der offiziellen Entschuldigung durch einen Palast-Sprecher. Oft habe er während dieser Jahre unter angestauten Aggressionen gelitten, sagte Harry jetzt, und er sei „kurz davor gewesen, jemanden zu schlagen“. Er habe deshalb mit Boxen angefangen, „weil jeder mir sagte, dass es eine gute Art wäre, Aggressionen rauszulassen. Es hat mich gerettet.“

Noch hilfreicher allerdings seien die Sitzungen mit einem Psychotherapeuten gewesen. „Plötzlich kam diese ganze Trauer, die ich nie verarbeitet habe, in den Vordergrund, und ich erkannte, da ist eine ganze Menge, das ich aufarbeiten muss.“ Harry, der heute mit der US-Schauspielerin Meghan Markle (35) liiert ist, schätzt sich glücklich, dass „es nur zwei Jahre von totalem Chaos“ waren, bevor er lernte, seine Probleme anzugehen. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man Teil eines ziemlich großen Klubs ist, wenn man erst einmal anfängt, darüber zu reden.“ Viele Menschen hätten psychische Probleme. „Ich weiß, dass es einen großen Wert hat, über diese Dinge zu reden.“

Harry habe sich zu dem offenherzigen Interview entschlossen, weil er andere Leute dazu ermutigen wolle, sich einer Gesprächstherapie zu stellen. Zusammen mit seinem Bruder William und dessen Frau Kate hat er die Wohlfahrtsorganisation „Heads Together“ gegründet, die sich für seelische Gesundheit einsetzt. „Ich kann jedem raten“, appelliert der Prinz, „solche Gespräche zu haben, weil du überrascht sein wirst, wie viel Hilfe du bekommst und wie viele Menschen sich buchstäblich danach sehnen, dass du es endlich tust.“