Berlin.

Mit einem Metallhaken schlägt der Zoo-Mitarbeiter immer wieder zu. Der junge Elefant, der ihm bis zum Ellbogen reicht, zuckt unter den Hieben zusammen, dreht sich, streckt die Beine hoch. Es sind emotionale Bilder, die die Tierschutzorganisation Peta nach eigenen Angaben im Zoo Hannover aufgenommen hat und diesem nun Tierquälerei vorwirft. Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt.

Der Zoo wehrt sich gegen eine Vorverurteilung. Man nehme die Vorwürfe ernst, sie seien aber noch ungeklärt, heißt es in einer Stellungnahme auf der Webseite des Zoos. Darunter prangt ein Bild des erst im Januar geborenen Elefanten-Kalbs Mäuschen, wie es vor seiner Mutter Manari hertapst. An anderer Stelle verweist Hannover auf seine Kooperationen mit Organisationen wie dem WWF oder dem Biodiversity and Elephant Conservation Trust. Beide zeigen auf ihren Seiten im Internet auch Aufnahmen von Tieren in freier Wildbahn, verstörte Kälber neben toten Müttern, deren Stoßzähne aus den Schädeln gerissen wurden. Eine Situation, in die Mäuschen und Manari nie kommen werden. Zwischen all diesen Bildern muss der Tierliebhaber entscheiden: Wo haben es die wilden Kreaturen besser?

In dieser Woche vor 15 Jahren setzte Deutschland die EU-Zoorichtlinie in nationales Recht um. Seither ist im Bundesnaturschutzgesetz die Aufgabe von Zoos und Tiergärten festgehalten: Sie sollen die Forschung unterstützen, Arten notfalls durch Aufzucht in Gefangenschaft schützen und sie „gegebenenfalls“ in ihren natürlichen Lebensraum einbürgern. Sie sollen die Öffentlichkeit über die ausgestellten Tiere informieren und diese artgerecht halten. „Es gab damals viele Verbesserungen. In Italien, Spanien und Bulgarien mussten Einrichtungen schließen, weil sie die Bedingungen nicht erfüllen konnten“, sagt Denise Ade, Expertin für Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund. In Deutschland gab es keine Schließungen.

„Das lag aber nicht daran, dass hier schon alles perfekt war, sondern daran, dass die Richtlinie kaum verbindliche Angaben macht, was genau artgerecht ist“, sagt Ade. Konkreter sei das Säugetiergutachten von 2014. Es hielt erstmals Anforderungen an Haltung und Pflege insbesondere in Zoos fest. Hier heißt es etwa, dass ein Elefantenaußengehege mindestens 2000 Quadratmeter groß sein sollte – eine Fläche auf der 200 eng geparkte Autos Platz fänden. Eine Voraussetzung, die längst nicht alle Zoos erfüllen, weiß Ade.

Wie das Gehege aufgebaut ist, hängt auch davon ab, wie die Dickhäuter gehalten werden. In Hannover setzt man auf die sogenannte „Hands-on“-Methode. Ein Pfleger setzt sich dabei an die Spitze der Rangordnung, führt die Herde der Weibchen wie sonst die Leitkuh. Mit einem Elefantenhaken verteidigt er seine Stellung, bringt den Tieren Kommandos bei, die etwa für medizinische Untersuchungen wichtig sind. Gehorchen die Elefanten dem Pfleger, vereinfacht das vieles – vom Blutabnehmen bis zur Fußpflege. Doch die Methode kann nicht nur für die Tiere unangenehm werden, auch unter Pflegern gab es in der Vergangenheit Verletzte und sogar Tote. Bei Bullen funktioniert sie ab einem gewissen Alter nicht mehr, sie ordnen sich nicht mehr unter, suchen den Kampf. Bei ihnen verfahren Zoos mit der „Hands-off“- Methode. Pfleger und Tier sind dabei stets durch ein Gitter getrennt. „So sollte es bei allen Tieren gemacht werden“, fordert Ade. Direkter Kontakt sei nie artgerecht, er störe das natürliche Verhalten.

„Es gibt keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass die Methode Elefanten schadet“, argumentiert hingegen Julia Kögler. Die stellvertretende Geschäftsführerin des Verbands der Zoologischen Gärten (VdZ) vertritt 56 von Deutschlands größten Zoos, darunter fast alle, die hierzulande Elefanten halten. Dazu zählt auch der Tierpark Hagenbeck, die Kühe und Kälber werden hier im direkten Kontakt betreut. Die Pfleger erhalten nach der Grundausbildung noch ein eineinhalbjähriges Zusatztraining, bei dem auch der Umgang mit dem Elefantenhaken gelehrt wird. Diese würden nur nach genau festgelegten Regeln eingesetzt, so Hagenbeck.

Direkter Kontakt zu Elefanten auch in Hagenbeck

„Für uns stehen beide Haltungsmethoden gleichberechtigt nebeneinander“, sagt Kögler. Sie ist überzeugt: „Mit genug Platz und Geld kann man jedes Tier artgerecht halten.“ Das gelte auch für Raubkatzen, deren Haltung stark umstritten ist. „Viele der Kachelkäfige, die man noch in einigen Zoos sieht, sind tatsächlich nicht optimal“, gibt die VdZ-Expertin zu. Sie basierten noch auf dem Wissen, das man in den 60er Jahren hatte. 40 bis 50 Quadratmeter Platz hätten die Tiere derzeit im Schnitt – laut Säugetiergutachten sollten sie mindestens 200 haben. „Nicht alle Einrichtungen sind finanziell gut genug aufgestellt, um einen schnellen Umbau möglich zu machen – aber das Bewusstsein und der Wille sind da“, so Kögler. Deutschlands bis dato größtes Löwengehege im Zoo Wuppertal bietet seinem Rudel immerhin rund 10.000 Quadratmeter. In der Natur allerdings leben die Tiere auf mindestens 20 Quadratkilometern – also 20 Millionen Quadratmetern.

„Kein Zoo kann ihnen das bieten“, argumentiert Tierschützerin Ade. Oft zeigten gerade Raubkatzen in Zoos Verhaltensstörungen – die sogenannte Stereotypie. „Sie laufen etwa ohne Ziel oder Sinn immer wieder hin und her“, sagt Ade. „Wir nehmen das Thema ernst und haben das Anliegen, die Haltung weiter zu optimieren“, so Kögler. Bei allen Mitgliedern liefen dazu gerade Bauprojekte, häufig mit Millionen gefördert. Gelder, die für Artenschutzprojekte in den Herkunftsländern der Tiere besser investiert wären, meint Ade. Generell von einem Zoobesuch abraten möchte die Tierschützerin zwar nicht: „Schaubauernhöfe etwa bringen Kindern heimische Arten nah, darauf sollten sich mehr Zoos konzentrieren.“ Wer bei der Haltung von Exoten in Zoos aber ohnehin Bedenken hätte, solle lieber spenden. „Wilderei könnte so besser bekämpft, die ursprünglichen Lebensräume erhalten werden“, meint Ade. Die Haltung großer Säugetiere trage nur wenig zu ihrem Schutz bei. „In Gefangenschaft geborene Tiere haben in der Wildnis oft keine Überlebenschance.“

„Es gibt viele erfolgreiche Wiederansiedlungsprojekte“, widerspricht Kögler. Als Paradebeispiel gilt das Przewalski-Pferd, das auch dank Zucht-Bemühungen deutscher Zoos wieder in den Steppen der Mongolei zu finden ist. Auch viele andere Arten, 46 insgesamt, seien in den vergangenen Jahren von Zoos ausgewildert worden. Darunter Steinbock, Wildkatze und Wisent. „Letztendlich ist das aber die Königsklasse des Artenschutzes“, so Kögler.

Denn oftmals herrschten nicht die richtigen Bedingungen. „Man kann Tiere nicht irgendwo aussetzen, wo kein guter Lebensraum mehr für sie ist. Wenn Wilderer eine Gruppe Affen innerhalb einer Woche wieder von den Bäumen schießen, haben wir dem Artenschutz nicht gedient.“ Dann sei es sinnvoller, wenn die Arten in Zoos fortleben, auch wenn es sie in der Natur nicht mehr gibt. Erhaltungszucht nennt es Kögler. Ein lebendes Museum nennt es Ade.