Berlin.

Es erinnert doch sehr an den Hightech-Kinothriller „Transcendence“: Der hochbegabte Wissenschaftler Dr. Will Caster (gespielt von Johnny Depp) hat einen Supercomputer entwickelt, den er allein durch seine Hirnströme steuern kann. Blinde sollen so wieder sehen, Wunden schneller geheilt werden können. Als Will von Technologiefeinden bei einem Attentat schwer verletzt wird, beschließt seine Ehefrau, die Hirnströme ihres sterbenden Mannes direkt mit dem Computer zu verbinden.

Geht es nach Tech-Milliardär Elon Musk, Chef des Elektroautobauers Tesla und der Weltraumfirma SpaceX, soll ein solches Verfahren bald in der Realität eine wichtige Rolle spielen. Wie das „Wall Street Journal“ am Dienstag berichtete, sei der 45-Jährige an dem Unternehmen Neuralink beteiligt, das Elektroden entwickeln will, die man in das menschliche Gehirn quasi einpflanzt, um es mit Computern zu verbinden. Ein Mitglied des Gründerteams bestätigte die Pläne. Neuralink sei im vergangenen Juli in Kalifornien als Unternehmen zur Medizinforschung registriert worden und habe einige hoch spezialisierte Forscher unter Vertrag genommen – darunter einen Wissenschaftler, der neuronale Pfade im Gehirn von Singvögeln erforscht.

Viel mehr Informationen gab der Mitarbeiter im Gespräch mit dem Wall Street Journal nicht bekannt. Schließlich sei die Firma noch in der „Embryo-Phase“, wie er sagte. Dennoch verbreitete sich die Nachricht gestern rasend schnell im Internet. Dabei ist der Traum davon nicht neu: Allein mit der Kraft der Gedanken Computer und Maschinen zu steuern, Autos und Rollstühle zu bewegen, Löcher in Altbauwände zu bohren, während man sich gemütlich auf dem Sofa räkelt. Oder Berge zu versetzen.

Für die Neurowissenschaft ist das längst kein Neuland mehr: „Gehirn-Computer-Schnittstellen gehören zur Grundlagenforschung“, sagt Klaus-Robert Müller. Müller ist Professor an der Technischen Universität Berlin, Experte für künstliche Intelligenz und einer der Gründungsväter der Berlin Brain-Computer-Interface.

Man kennt das von den sogenannten Elektro-Enzephalogrammen (EEG): An einer Kappe befestigte Elektroden messen auf der Kopfhaut die Ströme des Gehirns, ein Computer zeichnet sie auf. Menschen mit Locked-in-Syndromen können damit kommunizieren, Menschen mit Lähmungen Prothesen steuern. Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) profitieren von einem Neurofeedback-Training, indem sie die Kraft ihrer Gedanken gezielt nutzen, um ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren. Und auch bei manchen Computerspielen können die Maschinen mithilfe von Sensoren heute schon so was wie Gefühle lesen – zumindest großen Stress und Entspannung.

Aber Musk, der auch den Mars kolonialisieren und Menschen und Waren mit einer riesigen magnetbetriebenen und 1000 Kilometer pro Stunde schnellen Rohrpost befördern will, geht noch einen Schritt weiter. Seine Nanotechnik-Forscher sollen neue Elektroden entwickeln, die einen „direkten Interface zur Hinrinde“ darstellen, also implantiert werden. Musk hatte schon bei einem Konferenz-Auftritt im vergangenen Jahr gesagt, dass er künstliches Nervengewebe zum Verbinden mit Computern für eine wichtige Zukunftstechnologie halte.

Auch das ist nicht ganz neu, mit Elektroden im Hirn arbeiten etwa sogenannte Hirnschrittmacher, die etwa Parkinson-Patienten helfen, ihre Beschwerden zu lindern. Als bewährte Technik gelten auch Coachlear-Implantate, Hörprothesen für Gehörlose, die gezielt den Hörnerv stimulieren, wenn dieser nicht funktionsgestört ist. Auch gibt es weitere beeindruckende Experimente in der Neurotechnologie, bei denen Ratten, denen man im Tierversuch das Rückenmark durchtrennt hatte, durch einen Chip im Rücken wieder auf die Beine geholfen wurde.

Im Vergleich zu Technologien wie dem EEG sollen die implantierten Elektroden zwar zehnmal schneller auf die Hirnströme reagieren. Ihr Einsatz im menschlichen Hirn gilt allerdings als hoch risikoreich. Zum einen sei die Gefahr einer lebensgefährlichen Infektion gewaltig, zum anderen könnten schnell Abwehrreaktionen im Körper entstehen, sagt Professor Müller. Untersuchungen hätten ergeben, dass sich durch den Eingriff Narbengewebe im Hirn bildete. „Dann kann es schon nach einigen Monaten passieren, dass die Elektroden keine Signale mehr senden.“ Bei den Eingriffen gehe es also meistens um die letzte Chance für Patienten.

US-Unternehmer Musk schwebt bei seiner Elektroden-Forschung aber offenbar ein Zweck fernab der Medizin vor. Seine Technologie solle Menschen helfen, mit der künstlichen Intelligenz mitzuhalten, zitiert ihn das „Wallstreet Journal“. Vor deren möglicher Übermacht hatte Musk schon zuvor immer mal wieder gewarnt – ebenso wie der britische Astrophysiker Stephen Hawking vor den Auswirkungen derselbigen auf die Menschheit warnt. Konkrete Angaben, wie genau eine eingepflanzte Hirn-Computer-Schnittstelle dieser Übermacht Herr werden kann, machten bisher aber weder Musk noch seine Mitarbeiter.

Wissenschaftler Müller hält Musks Begründung „an den Haaren herbeigezogen“. Und für gefährlich: „Es ist nicht verantwortbar, an gesunden Menschen derartige Eingriffe vorzunehmen.“ Um Möglichkeiten und Grenzen im Bereich der künstlichen Intelligenz aufzuzeigen, sollte vielmehr wieder ein öffentlicher Diskurs geführt werden. „Wir brauchen einen Konsens darüber, wie es weitergehen kann“, so Müller.

Visionär Musk indes wird es nicht gefallen haben, wie der Cyber-Thriller „Transcendence“ endet: Im Film verbindet sich das menschliche Bewusstsein des Wissenschaftlers mit künstlicher Intelligenz zu einer skrupellosen Maschine, die alle Computer der Welt befällt und das öffentliche Leben lahmlegt. Eine düstere Zukunftsvision.