Das Auslandsjahr – Gastfamilie oder Boarding School?

Es ist eines der großen Abenteuer der Jugendzeit: die Koffer packen, um meist zum ersten Mal ganz auf sich gestellt für ein Jahr nach Australien, Kanada oder in die USA zu reisen und dort zur Schule zu gehen. Welch eine Horizonterweiterung für 16 oder 17 Jahre alte Jungen und Mädchen, eine zumeist noch ziemlich fremde Sprache, eine andere Kultur und ein völlig anderes Lebensgefühl weit weg von zu Hause kennen zu lernen!

Es ist keineswegs eine Überraschung, dass es Schüler und Schülerinnen aus Hamburg besonders häufig ins Ausland zieht. Zum einen hält sich die Stadt viel auf ihre Weltoffenheit zugute, zum anderen verfügen offenbar viele Familien über das nötige Geld für den Trip, denn billig sind die Auslandsaufenthalte nicht.

Zurzeit sind laut Schulbehörde 803 Schüler für einen Schulbesuch im Ausland beurlaubt – fast 80 Prozent sind Gymnasiasten. Drei von vier Hamburger Austauschschülern bleiben ein ganzes Jahr im Gastland, die anderen sechs oder auch nur drei Monate. Bundesweit liegt die Zahl der Auslandsaufenthalte im Schuljahr 2016/17 bei rund 16.400. Der Hamburger Anteil beträgt also knapp fünf Prozent, obwohl die Hamburger nur gut zwei Prozent der deutschen Bevölkerung ausmachen.

Seit ein paar Jahren sind die Zahlen der Auslandsaufenthalte rückläufig, wie sich aus der Studie des unabhängigen Bonner Bildungsberatungsdienstes Wegweiser ergibt: Im Schuljahr 2011/12 kehrten noch rund 20.000 Schüler der Heimat den Rücken. Der Rückgang beträgt also fast 20 Prozent. Zurückgeführt wird der Trend auf im Wesentlichen auf die Schulzeitverkürzung von neun auf acht Jahre auf dem Gymnasium (G8/G9). Doch Hamburg trotzt der Entwicklung offenkundig: Hier hat sich die Zahl der Auslandsaufenthalte seit 2011 sogar um 20 Prozent erhöht – allerdings mit jährlichen Schwankungen.

Die Schulzeitverkürzung hat eine weitere Auswirkung zur Folge. „Das Alter der Austauschschüler wird jünger. Seit der Einführung von G8 gehen Schüler normalerweise in der zehnten Klasse ins Ausland, bei G9-Schülern war und ist es die elfte Klasse“, sagt Bella Tumulka von der unabhängigen Beratungsorganisation Global Education Group, die den ersten Schul- und Bildungstag am 1. April in Hamburg organisiert. Es gebe aber auch Neuntklässler, die es in die Ferne zieht.

Der einjährige Aufenthalt im Ausland ist weiterhin die Regel, weiß Tumulka. „Manche Jugendliche starten aber auch mit einem Term, also für drei Monate, und verlängern dann ihren Aufenthalt“, sagt die Beraterin. Bei Aufenthalten in Übersee ist meist ein halbes Jahr das Minimum. „Immer mehr Schüler entscheiden sich auch, im Anschluss an den Aufenthalt zum Beispiel in Großbritannien direkt ihren Abschluss zu machen“, berichtet Tumulka aus der Praxis. Gerade dafür sind sie und ihre Mitarbeiter Spezialisten und können die Eltern hinsichtlich der Anerkennungsmodalitäten beraten.

Die USA sind nach wie vor das Topziel für Schüler, wenngleich die Attraktivität nachgelassen hat. Dafür sind Kanada, Neuseeland, Australien sowie Großbritannien und Irland im Kommen. Laut Tumulka sind die Motivationen für Eltern, ihre Kinder auf eine Schule ins Ausland zu schicken, vielfältig. „Man gibt seinen Kindern die Chance, zum Beispiel fließend Englisch zu lernen, Toleranz gegenüber anderen Mentalitäten zu entwickeln, selbstständig zu werden sowie in einem internationalen Umfeld zu lernen.“ Für welches Land die Entscheidung falle, hänge häufig von der Persönlichkeit des Kindes, seinen Vorlieben und der Familie ab. „Gerade Eltern jüngerer Kinder entscheiden sich eher für England oder Irland“, weiß Tumulka. Da könnten die Schüler ab und zu nach Hause fahren. „In Großbritannien ist es üblich, dass Schüler nach fünf Wochen, im half term, eine Woche nach Hause kommen.“

Klassischerweise leben Jungen und Mädchen während des Auslandsaufenthalts bei einer Gastfamilie. Immer beliebter wird jedoch auch der Aufenthalt in einer Boarding School, einer Internatsschule. „Bei den Boarding Schools besucht das Kind direkt auf dem Campus die Schule und kann eine Vielzahl von Angeboten im sportlichen, musischen und künstlerischen Bereich genießen“, erläutert Tumulka. Vor allem in Großbritannien sind die Boarding Schools sehr verbreitet: Rund 70 Prozent der Austauschschüler aus Deutschland besuchen eine solche Schule.

Bei einer Gastfamilie steht der direkte Kontakt zur Bevölkerung und die Teilnahme am Familienalltag im Vordergrund. Tumulka rät allerdings dazu, möglichst vor Beginn der Reise schon Kontakt mit der vorgeschlagenen Gastfamilie aufzunehmen, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Der Aufenthalt in einer Familie ist an den Besuch einer staatlichen Schule gekoppelt. Es ist die kostengünstigere Variante: Für ein Jahr muss man mit einem Betrag zwischen 8000 und 15.000 Euro rechnen. Der Aufenthalt in einer Boarding School mit allen Freizeitangeboten kostet mindestens 30.000 Euro pro Jahr.

Um herauszufinden, ob ein Auslandsaufenthalt für ein Kind das Richtige ist, eignet sich eine Sprachreise in den Ferien gut. Sogenannte Sommercamps gibt es schon für Kinder von zehn Jahren an. So kann die Trennung von den Eltern geübt werden. „Bislang haben wir noch nie die Erfahrung gemacht, dass ein Schüler wegen Heimweh den Aufenthalt in einer Boarding School abgebrochen hat“, sagt Tumulka. Hin und wieder komme es vor, dass ein Kind die Gastfamilie wechsele.

Übrigens: Wenn ein Hamburger Schüler länger als ein halbes Jahr im Ausland zur Schule geht, wird das Schulverhältnis hier unterbrochen und die Dauer der Unterbrechung nicht auf die Dauer des Schulbesuchs angerechnet. Das heißt: Der Schüler setzt seinen Schulbesuch nach der Rückkehr auf der Stufe fort, in der er Hamburg verlassen hat. Auf Antrag kann er oder sie aber auch in die nächsthöhere Klasse aufrücken und dann mit seinen „alten“ Mitschülern zusammenbleiben.